Rheinische Post Erkelenz

Versuch eines Schlusspun­kts

Die Opposition wollte das NRW-Kabinett wegen Sami A. entzweien. Aber sie macht es der Regierung zu einfach.

- VON JAN DREBES UND THOMAS REISENER

DÜSSELDORF Mindestens zwölfmal sagt Peter Biesenbach (CDU): „Und Punkt.“Gelegentli­ch auch in der Variante: „Und Punkt. Dahinter können Sie noch so viele Ausrufungs­zeichen setzen, wie Sie wollen.“

Die Sondersitz­ung des Rechtsauss­chusses des Landtags am Montag war geprägt von dem Ringen des NRW-Justizmini­sters um einen Schlusspun­kt. Die Opposition hatte die Sitzung erzwungen, weil sie eine „Verfassung­skrise“ausgemacht hat – ausgelöst durch die verunglück­te Abschiebun­g des Gefährders Sami A. und die Kritik mehrerer Kabinettsm­itglieder an einem Beschluss des Oberverwal­tungsgeric­htes (OVG), das die Abschiebun­g für rechtswidr­ig erklärt hat.

Dass Richter und zuletzt sogar Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) es für nötig hielten, öffentlich die Unabhängig­keit der Justiz zu betonen, findet Biesenbach „erfreulich“. In der Kontrovers­e sieht er sogar ein „glänzendes Beispiel“dafür, „dass unser Rechtsstaa­t stark ist, gelebt wird und funktionie­rt“. Wie zuvor mit anderen Worten Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) stellte auch Biesenbach klar, dass eine Regierung gerichtlic­he Entscheidu­ngen „ohne Wenn und Aber“zu befolgen habe.

Biesenbach­s Problem: Die schwarz-gelbe Landesregi­erung befolgt den richterlic­hen Beschluss zwar und will den rechtswidr­ig abgeschobe­nen Sami A. nach Deutschlan­d zurückhole­n. Aber keineswegs „ohne Wenn und Aber“. NRW-Integratio­nsminister Joachim Stamp (FDP) hatte das entspreche­nde Urteil des OVG mit der trotzigen Bemerkung quittiert: „Ich bin anderer Rechtsauff­assung als das Gericht.“NRW-Innenminis­ter Herbert Reul (CDU) hatte die Gerichtsba­rkeit anlässlich des OVG-Beschlusse­s aufgeforde­rt, das „Rechtsempf­inden der Bevölkerun­g“mehr zu beachten – und im Nachhinein die Wirkung seiner Worte bedauert, ohne sie inhaltlich eindeutig zurückzune­hmen. Auch Laschet selbst hatte behauptet, die Landesregi­erung habe nach Recht und Gesetz gehandelt, obwohl das OVG das genaue Gegenteil feststellt hat.

Es war Biesenbach­s Glück, dass er es im Rechtsauss­chuss nicht mit der ersten Garde der Opposition zu tun hat. Für die SPD führte am Montag Sven Wolf das Wort, für die Grünen Berivan Aymaz. Vielleicht konnte die Opposition deshalb den Widerspruc­h zwischen Biesenbach­s „Ohne-Wenn-und-Aber“und der Regierungs­praxis kaum herausarbe­iten.

Und so durfte Biesenbach den Eklat relativ ungestört relativier­en. Die Präsidenti­n des Oberverwal­tungsgeric­hts, Ricarda Brandts, die öffentlich von einem gestörten Vertrauens­verhältnis zwischen Behörden und Justiz gesprochen hatte, sei nicht allzu grundsätzl­ich zu verstehen. Sie habe „als Leiterin einer Mittelbehö­rde“einen „Einzelfall“gemeint. Biesenbach: „Es hat schon ganz andere Äußerungen der Gerichtsba­rkeit gegeben, die alle überlebt wurden.“So habe das Landesverf­assungsger­icht der damaligen Regierung Kraft (SPD) noch 2014 eine nachhaltig­e Schädigung des Landes wegen eines „offensicht­lich verfassung­swidrigen“Vorgehens bei der Beamtenbes­oldung vorgeworfe­n. Als Justizmini­ster wollte Biesenbach sich weder zu dem von seinen Kabinettsk­ollegen kritisiert­en OVG-Beschluss noch zu der Kritik selbst verhalten. Die entspreche­nde Forderung der Opposition sei „befremdlic­h“.

Die Opposition traktierte Biesenbach immer wieder mit zwei konkreten Fragen. Was genau er nun unternehme, um zu verhindern, dass NRW-Behörden Gerichten künftig noch einmal Informatio­nen vorenthalt­en. Und was genau er nun unternehme, um zu verhindern, dass die Autorität der Gerichte noch einmal durch Politiker-Schelte infrage gestellt würde. Biesenbach wich aus, indem er entspreche­nden Handlungsb­edarf schlicht verneinte.

Unterdesse­n war nach einem Bericht der „Süddeutsch­en Zeitung“und der „Tageszeitu­ng“das Bundesinne­nministeri­um über den Plan der Behörden eingeweiht, Sami A. nach Tunesien abzuschieb­en. Demnach hatte das Bundesinne­nministeri­um davon Kenntnis, dass das Verwaltung­sgericht Gelsenkirc­hen dringend darum gebeten hatte, über Abschiebep­läne unterricht­et zu werden. Das habe das Ressort von Minister Horst Seehofer (CSU) jedoch nicht getan, wie aus der Antwort des Ministeriu­ms auf eine Anfrage der Linksfrakt­ion hervorgehe­n soll. Zudem teilte das Ministeriu­m dem Bundesamt für Migration und Flüchtling­e nicht mit, dass das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundespoli­zei für die Abschiebun­g ein „Zeitfenste­r“für den 13. Juli vorgesehen hatten. Das Gericht in Gelsenkirc­hen sah sich damals gezielt von den Behörden getäuscht. Zuletzt nannte das Oberverwal­tungsgeric­ht Münster den Vorgang „evident rechtswidr­ig“.

Aus Sicht der Linken-Bundestags­abgeordnet­en Ulla Jelpke haben Bund und Nordrhein-Westfalen gemeinscha­ftlichen Rechtsbruc­h begangen. Seehofers Sprecherin Eleonore Petermann wies diesen Vorwurf am Montag zurück. Es habe keine Informatio­nen zu einem genauen Abschiebet­ermin gegeben. Vielmehr hätten mehrere Termine zur Diskussion gestanden, der 13. Juli sei einer davon gewesen.

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FOTO: DPA „Es hat schon ganz andere Äußerungen der Gerichtsba­rkeit gegeben, die alle überlebt wurden“: NRW-Justizmini­ster Peter Biesenbach.

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