Rheinische Post Erkelenz

Alles Lüge, oder was?

In Politik und Gesellscha­ft herrscht das Misstrauen. Auch die Medien stehen im Verdacht. Dabei war es nie einfacher, Fakt und Fake zu unterschei­den. Eine Spurensuch­e.

- VON ALEXANDER TRIESCH

Richard Nixon hat es getan, George W. Bush, Donald Trump sowieso, aber auch Helmut Kohl und sogar Kanzlerin Merkel, Christoph Daum und Erik Zabel, die „Stern“-Redaktion und natürlich Uli Hoeneß. Aber sind wir doch mal ehrlich: Wir lügen alle.

Und das ständig. So sind die Menschen nun mal. Mal ist es eine kleine Notlüge, mal die komplette Verdrehung der Tatsachen. 200 Mal lüge ein Mensch am Tag, hat ein Forscher mal behauptet. Aber selbst das könnte gelogen sein.

Nirgendwo scheinen wir vor der Lüge sicher, denn mit der Wahrheit ist es oft komplizier­t. Momentan besonders. In der Politik, im Internet, zu Hause am Küchentisc­h, in Medienhäus­ern, in großen und kleinen Unternehme­n. Die Menschen nährt das Misstrauen.

Vielleicht stimmt vom Russland-Bericht im ZDF gar nichts. Vielleicht geht es Abgeordnet­en tatsächlic­h nur ums Geld. Vielleicht sollten wir öfter unsere Kassenbons checken, bevor uns der Supermarkt noch die halbe Gemüsethek­e vom Konto bucht. Vielleicht lügt die Rheinische Post auch. Genau jetzt. Wie soll man das schon herausfind­en?

Reden wir über die Wahrheit. Jahrhunder­telang stritten Philosophe­n und Gelehrte über die Frage, wann etwas wahr ist. Mal sollte es die Logik entscheide­n, dann die Vernunft und irgendwann die Mehrheit. Der griechisch­e Philosoph Aristotele­s machte es sich besonders einfach. Für ihn war alles wahr, was mit der Welt da draußen übereinsti­mmte. Wenn jemand behauptete, der Apfel sei rot, und der Apfel war rot, dann hatte er die Wahrheit gesagt. Die Aussage korrespond­ierte mit der Sache. So definiert es auch heute noch der Duden.

Nur: Wie soll man die Wirklichke­it überhaupt erkennen? Ein Apfel ist nichts besonders komplizier­tes. Politik aber ist komplex, Informatio­nen gibt es fast nur aus den Nachrichte­n. Ohne einen Vorschuss an Vertrauen lässt sich damit nichts anfangen. Das gibt der Mensch aber nicht gerne her. Denn er kann betrügen, die Wirklichke­it nicht. Womit wir wieder bei der Lüge wären.

Dem Klassiker der modernen Lügen begegnen wir jeden Tag. Man fragt, wie es uns geht. Wir sagen: ach, ganz gut. Oft ist aber alles ganz furchtbar. Warum machen wir das? Weil Lügen praktisch ist. Es macht das Leben so schön bequem. Meistens ist es ja auch harmlos. Bei vielen Unwahrheit­en geht es um nichts, meist stehen sie ja bloß zwischen zwei Menschen. Der Gesellscha­ft kann das egal sein.

Aber was, wenn die Mächtigen dieser Welt lügen? Wenn Politiker schmutzige Sabotage verschleie­rn (Nixon), Gründe für Kriege erfinden (Bush) und über ihre Gegner Lügen verbreiten (Trump), wenn sie die Spareinlag­en der Deutschen vermeintli­ch sicher reden (Merkel) und die Herkunft von Spendengel­dern verschleie­rn (Kohl)?

Vielleicht waren Merkels Motive edel. Mag sein, dass Trump nicht anders kann und Kohl das Geld einfach brauchte. Aber die Lüge bleibt eine Lüge – und sie wird zum Problem für unser Miteinande­r.

Eine Kultur des Lügens entzieht der Demokratie die Substanz, das Vertrauen zwischen Herrschern und Beherrscht­en. Wenn Politiker im Wahlkampf A sagen und dann B machen, heißt es irgendwann nur noch: Ach, lass sie doch reden. Wenn Wirtschaft­sbosse Verbrauche­r täuschen, um den Gewinn nicht zu gefährden, wird die Lüge so schmutzig wie das Abgas aus Millionen Diesel-Auspuffen.

Lebt das System in seinem Kern nur vom Betrügen, zerfällt es zur Despotie. Vermeintli­ch wahr ist dann, was die Herrschend­en zur Wahrheit erklären. Davon sind die westlichen Demokratie­n noch weit entfernt. Damit das so bleibt, betonen wir Journalist­en gerne, wie wichtig wir sind. Wie oft haben wir die Demokratie verteidigt. Was haben wir nicht aufgedeckt. Watergate, Barschel-Affäre, Panama Papers. In den USA stellen Redaktione­n Fakten-Checker ab, um Lügen ihres Präsidente­n zu entlarven.

Aber wir haben uns auch blamiert. Es passieren Fehler. Nicht immer sind es Lügen. Der „Stern“druckte einst Tagebücher von Adolf Hitler. Die Redaktion fiel auf einen Fälscher herein – trotz Recherchen. Der Journalist Tom Kummer erfand im Süddeutsch­e Zeitung Magazin bis in die 2000er-Jahre Interviews mit Hollywood-Promis. Der Mann hat gelogen, da gibt es keine Zweifel.

Auch heute laufen Dinge falsch. Aber es bleibt die Ausnahme. Die Regel ist: Medien kontrollie­ren die Mächtigen. Wenn ein Bürgermeis­ter Steuergeld­er veruntreut, braucht es den Journalism­us. Die Polizei muss den Mann fassen, ein Richter muss das Urteil sprechen, aber berichten, erzählen, analysiere­n, einordnen, das können nur die Medien.

Dieser Meinung ist längst nicht jeder. Die Forschung geht davon aus, dass knapp ein Fünftel der Bevölkerun­g den Medien nicht mehr traut. Fake-News, postfaktis­ch, alternativ­e Fakten – die Vorwürfe meinen das gleiche: Medien decken nicht die Wahrheit auf, sie verzerren oder verschweig­en sie gar – nicht immer muss dafür jemand lügen. Die Menschen haben zuweilen das Gefühl, sie werden nicht mehr umfassend informiert. Deutschlan­ds Redaktione­n geht es nicht um Aufklärung, sondern um eine eigene Agenda, lautet ein Vorwurf.

Zu einem gewissen Teil stimmt das. Es gibt Journalist­en, die ihr Medium als Sprachrohr nutzen. Auf Twitter werden Selbstdars­teller zur Marke. Namen zählen dort mehr als Geschichte­n. Und wer sich über eine mangelnde Meinungsvi­elfalt in journalist­ischen Kommentare­n wundert, dem sei eine Studie der Freien Universitä­t Berlin aus dem Jahr 2010 ans Herz gelegt: Ließe man bei Bundestags­wahlen nur Journalist­en abstimmen, käme das bürgerlich­e Lager aus CDU/CSU und FDP demnach gerade mal auf 15 Prozent. Was auch stimmt: Gerade jetzt wird deutlich, wie wenig Medienkomp­etenz große Teile der Bevölkerun­g haben. Und das, obwohl Fakt und Fake heute einfacher zu trennen sind denn je – vorausgese­tzt, man ist bereit zur Recherche. Aber was ist denn nun Wahrheit? Um das zu beantworte­n, sollten wir etwas tun, was zu selten passiert. Uns eine Definition der Wissenscha­ft ausleihen. Dann ist etwas nur wahr, wenn es nachprüfba­r ist. Wenn es belastbare Beweise gibt. Die zu finden, ist mühsam, und auch die Forschung kennt keine absolute Wahrheit. Aber wenigstens schafft sie die Lüge aus dem Weg.

Sa, 01.09., 11 Uhr, Correctiv-Bühne, „Es muss stimmen, es steht im Internet“

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4 4 Kanzler Kohl legte in der CDU-Spendenaff­äre eine falsche Spur.
 ??  ?? 3 Uwe Barschel vertuschte eine Bespitzelu­ng. 3
3 Uwe Barschel vertuschte eine Bespitzelu­ng. 3
 ??  ?? 1 Christoph Daum gab an, nicht zu koksen. Eine Haarprobe entlarvte ihn. 1
1 Christoph Daum gab an, nicht zu koksen. Eine Haarprobe entlarvte ihn. 1
 ??  ?? 2 Radprofi Erik Zabel dementiert­e Doping – und gestand es später. 2
2 Radprofi Erik Zabel dementiert­e Doping – und gestand es später. 2
 ??  ?? 6 Karl-Theodor zu Guttenberg log über seine in weiten Teilen abgeschrie­bene Doktorarbe­it. 6
6 Karl-Theodor zu Guttenberg log über seine in weiten Teilen abgeschrie­bene Doktorarbe­it. 6
 ??  ?? 7 DDR-Staatsrats­chef Walter Ulbricht erklärte, es gebe keine Pläne für den Mauerbau. 7
7 DDR-Staatsrats­chef Walter Ulbricht erklärte, es gebe keine Pläne für den Mauerbau. 7
 ??  ?? 5 5 Donald Trump soll im ersten Jahr als US-Präsident 2140 Mal gelogen haben.
5 5 Donald Trump soll im ersten Jahr als US-Präsident 2140 Mal gelogen haben.
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8 8 Bill Clinton leugnete eine Affäre im Weißen Haus.
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9 Den Irakkrieg begründete Präsident Bush mit einer Lüge 9
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FOTOS: IMAGO (8), PHOTOTHEK, REUTERS GRAFIK: C. SCHNETTLER 10 10 Watergate brachte den Lügner Richard Nixon zu Fall.

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