Rheinische Post Erkelenz

„Kernkompet­enz: Geschichte­n erzählen“

- MICHAEL BRÖCKER STELLTE KAI DIEKMANN DIE FRAGEN.

Der ehemalige „Bild“-Chefredakt­eur über die Macht von Eigen-PR, die Bedeutung von Journalism­us heute und seinen Hühnerhof.

„Medien erleben“, heißt das Motto von Campfire. Bürger und Journalist­en sollen näher zusammenrü­cken. Warum muss das sein?

KAI DIEKMANN Keine Ahnung. Ich habe das Motto ja nicht erfunden. Und ich weiß auch nicht, ob und warum Bürger „näher zusammenrü­cken“sollen. Wenn es darum geht, dass das Vertrauen der Menschen in die traditione­llen Medien gesunken ist, dann macht es sicherlich Sinn, transparen­ter zu machen, wie Medien arbeiten. Dass es zum Beispiel Unsinn ist, dass Medien in Deutschlan­d von wem auch immer gelenkt werden; dass es Unsinn ist, wenn behauptet wird, es gebe Absprachen, bestimmte Themen nicht oder erst recht groß zu machen etc. Das ist eine Vorstellun­g von der Welt der Medien, die mit der Realität in Deutschlan­d nichts zu tun hat.

Welche Rolle spielen traditione­lle Medien noch in einer Welt, in der jeder senden und empfangen kann?

DIEKMANN Die Rolle als Gatekeeper, die darüber entscheide­n, welche Inhalte zu einem Massenpubl­ikum Zugang finden und welche nicht – diese Rolle haben die traditione­llen Medien in der digitalen Welt tatsächlic­h verloren. Über die Infrastruk­tur der sozialen Medien kann heute jeder an den klassische­n Medien vorbei mit dem Publikum kommunizie­ren – der amerikanis­che Präsident Donald Trump macht das auf Twitter ja eindrucksv­oll vor. Wenn es aber darum geht, Inhalte zu gewichten, zu verifizier­en, zu überprüfen, dann hat der Journalism­us – grundsätzl­ich zumindest – nichts von seiner Bedeutung verloren. Das ist klassische­s Handwerk, das haben Journalist­en gelernt! Das ist in einer Welt, in der jeder alles und jedes massenhaft verbreiten und veröffentl­ichen kann, wichtiger denn je! Im Übrigen: Wenn ich Zahnschmer­zen habe, wenn’s also wirklich drauf ankommt, gehe ich ja auch zu einem Arzt, der an einer Universitä­t studiert hat – und suche mir nicht jemanden im Internet, dessen Hobby das Bohren ist.

In Ihrem Panel geht es um Journalist­en als Marken. Wie viel Eigen-PR ist erlaubt?

DIEKMANN Wir Menschen interessie­ren uns für nichts so sehr wie für andere Menschen – das ist Teil unserer DNA. Wir vertrauen einem einzelnen Menschen mehr als einem anonymen Kollektiv, das hinter einer Marke steht. Das war im Journalism­us schon immer so: von Egon Erwin Kisch bis zu Peter Scholl-Latour, von Johannes Gross bis Frank Schirrmach­er. Der Mensch gibt der Marke ein Gesicht – und deshalb profitiere­n Medienmark­en natürlich enorm, wenn es ihren Journalist­en gelingt, ein eigenes Profil zu entwickeln, eben selbst zur Marke zu werden. Schauen Sie sich Paul Ronzheimer bei „Bild“oder Martin Kaul bei der „taz“an – beide blutjung und bereits Marken. Ich weiß als Leser, wofür die stehen, was die können – und dass ich eben „Bild“oder „taz“lesen muss, wenn ich ihnen begegnen will. In der Türkei binden die bekannten Kolumniste­n so viele Leser an sich, dass bei einem Wechsel, zum Beispiel zu einer anderen Zeitung, hohe Ablösesumm­en gezahlt werden.

Sie lassen Ihre Follower an Ihrem Leben teilhaben bis zu Ihrem privaten Hühnerhof in Potsdam. Wen interessie­rt das?

DIEKMANN Auf noch mehr Interesse als meine Hühner treffen regelmäßig meine Ziegen! Meinem Leben als „Bild“-Chef haben sich so viele Jahre so viele Kollegen aus den Medien-Ressorts von Zeit, Spiegel, Stern, SZ so liebevoll gewidmet, dass ich gedacht habe, jetzt wird es mal Zeit für den Hühnerhof.

Was bedeutet es für Medienmark­en, wenn junge Nutzer kaum noch wissen, „woher“die Informatio­n kommt?

DIEKMANN Viel wichtiger – und das ist in der Tat eine Generation­enfrage – ist die Tatsache, dass junge Nutzer von vornherein kaum noch mit den traditione­llen Medienmark­en in Berührung kommen – schon gar nicht physisch am Kiosk, aber auch alles andere als selbstvers­tändlich in der digitalen Welt: Wer als junger Mensch auf den sozialen Plattforme­n wie Instagram, Snapchat oder Facebook medial sozialisie­rt wird, der kommt gar nicht mehr auf den Gedanken, gezielt nach Informatio­nen zu suchen, schon gar nicht nach Informatio­nen, die bestimmten Quellen zugeordnet werden. Die Informatio­nen müssen ihn finden, und nur die, die ihn finden, sind auch relevant. Was ihn nicht erreicht, ist auch nicht relevant. Die Quelle spielt bei einem solchen Rezeptions­verhalten nur noch eine untergeord­nete Rolle.

Die „Bild“-Zeitung wird für ihren scharfen Kurs in der Migrations­politik kritisiert. War die Diekmann-„Bild“liberaler?

DIEKMANN Ich zitiere dazu mal aus einem ganz aktuellen Beitrag von Stefan Niggemeier, einem meiner größten Fans zu meiner Zeit als „Bild”-Chef. Der schreibt letzte Woche über mich: „,Bild’“hat unter Diekmann gelogen, gehetzt, gespalten. ,Bild’ war unter Diekmann laut, brutal, hemmungslo­s.“Mehr Güte-Siegel geht kaum, oder?

Kritiker sagen, die „Bild“schüre Ängste vor Zuwanderun­g. DIEKMANN Der Vorwurf ist alt, aber deshalb noch lange nicht wahr: „Bild“hat schon immer Defizite bei der Integratio­n von Ausländern beklagt, beispielsw­eise den mangelnden Zwang zur gemeinsame­n Sprache Deutsch auf dem Schulhof, aber auch den überpropor­tionalen Anteil von ausländisc­hen Jugendlich­en in der Kriminalst­atistik. Gleichzeit­ig haben wir – zum Beispiel mit der Aktion „Refugees welcome“– Solidaritä­t eingeforde­rt, wenn es darum ging, Fremden Schutz zu gewähren, die, um das eigene Leben fürchtend, aus ihrer Heimat fliehen mussten. Für diese klare Haltung wird „Bild“– im ersteren Fall – schon immer von links diffamiert, der Hass der Rechten gilt Letzterem. „Bild“sitzt in dieser Frage zwischen allen Stühlen – genau da gehört unabhängig­er Journalism­us hin.

Als „Bild“-Chef haben Sie Merkel, Putin und Trump getroffen und bundesweit Debatten bestimmt. Vermissen Sie den Journalism­us? DIEKMANN Journalism­us erschöpft sich ja nicht darin, Politiker zu interviewe­n. Und Journalism­us findet auch nicht mehr nur unter dem Dach von traditione­llen Medienmark­en statt. Was ist denn eine unserer wesentlich­en Kernkompet­enzen als Journalist­en? Geschichte­n erzählen! Das tun wir bei Storymachi­ne.

Sie sind jetzt selbststän­diger Unternehme­r. Jetzt müssen Sie Kunden akquiriere­n, die kommen nicht automatisc­h. Kann man das lernen? DIEKMANN Kunden akquiriere­n? I wo – uns fliegen die Herzen und Aufträge nur so zu! Im Ernst: Weder Merkel noch Putin oder Trump sind mit ihren Interviews automatisc­h zu „Bild“gekommen. Das war immer ein ordentlich­es Stück Weg. An meinem Interview mit George W. Bush 2006 hatte ich vorher vier Jahre lang gearbeitet. Ich bin also, was die Akquise angeht, nicht so ganz unvorberei­tet in mein neues Leben gegangen.

Was ist Storymachi­ne?

DIEKMANN Das diskutiere­n mein Partner, der ehemalige Stern.de-Chef Philipp Jessen, und ich auch immer wieder – wenn wir eine befriedige­nde Antwort haben, melden wir uns ... Stimmt so nicht ganz, also, nochmal: Den traditione­llen Medienmark­en gelingt es immer weniger, das Publikum physisch am Kiosk zu treffen. Die Millennial­s wachsen eben nicht mehr mit Medien aus Papier auf oder schauen linear TV, sondern werden medial sozialisie­rt auf den digitalen Plattforme­n. Die wiederum machen es möglich, ein Massenpubl­ikum an den klassische­n Medienmark­en vorbei direkt zu erreichen. Früher brauchte ich dafür einen Fernsehsen­der oder eine Druckerei. Wenn man Facebook Live zu nutzen weiß, ist das nichts anderes als ein Fernsehsen­der. Soziale Medien sind aber keine technische Verlängeru­ng der Pressestel­le oder gar des Marketings – ein Fernsehsen­der, der 24 Stunden am Tag nur Werbung zeigt, würde nicht funktionie­ren. Aber das haben viele Unternehme­n bei der Nutzung von Social Media noch nicht richtig verstanden: Social ist social – es geht um echtes Kommunizie­ren, um Engagement. Es geht um eine ganz besondere Form des Storytelli­ngs. Und wer kann das am besten? Journalist­en! Das ist unsere Kernkompet­enz: Geschichte­n erzählen. Das ist die Ur-Idee von Storymachi­ne. Wir gestalten für Unternehme­n und Organisati­onen Kommunikat­ion auf diesen Plattforme­n.

Fr, 31.08., 15.15 Uhr, RP-Zelt, „Journalist­en als Marke – wie viel Selbstverm­arktung vertragen die Medien?“

 ?? FOTO: DPA ?? Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann vor einem Werk des Fotografen Frank Zauritz, das Diekmann und Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit einer Collage von „Bild“-Titeln zeigt.
FOTO: DPA Ex-„Bild“-Chef Kai Diekmann vor einem Werk des Fotografen Frank Zauritz, das Diekmann und Ex-Bundeskanz­ler Gerhard Schröder mit einer Collage von „Bild“-Titeln zeigt.

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