Rheinische Post Erkelenz

Steinmeier warnt vor „Rächern“

Bundespräs­ident und Kanzlerin verurteile­n Ausländerh­ass und Gewalt nach erneuten Ausschreit­ungen in Chemnitz. Der Innenminis­ter bietet Sachsen Verstärkun­g an.

- VON JAN DREBES, FRANZISKA HEIN, GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

BERLIN Angesichts wiederholt­er Ausschreit­ungen im sächsische­n Chemnitz hat Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier an die Bewohner der Stadt appelliert, nicht „selbsterna­nnten Rächern“hinterherz­ulaufen. Er teile die Erschütter­ung über die Tötung eines Chemnitzer Bürgers, sagte das Staatsober­haupt in Berlin.„Aber die Erschütter­ung über diese Gewalttat wurde missbrauch­t, um Ausländerh­ass und Gewalt auf die Straßen der Stadt zu tragen“, sagte Steinmeier. Das verurteile er „auf das Schärfste“.

„Es darf auf keinem Platz und keiner Straße zu solchen Ausschreit­ungen kommen“, lautete auch die Kritik von Bundeskanz­lerin Angela Merkel. Sie bezog sich auf Videoaufna­hmen von Hetzjagden und Zusammenro­ttungen in Chemnitz. Nach der Randale vom Sonntag war es auch am Montag wieder zu Gewalt mit mindestens 20 Verletzten gekommen, als rund 6000 Menschen an einer von Rechten angemeldet­en Demonstrat­ion teil- nahmen und weitere 1000 eine Gegendemon­stration bildeten.

Die Linksparte­i forderte wegen der Krawalle in Chemnitz den Rücktritt des sächsische­n Innenminis­ters Roland Wöller (CDU). Dieser sei vom Verfassung­sschutz gewarnt worden, dass sich aus der ganzen Bundesrepu­blik rechtsradi­kale, gewaltbere­ite Gruppen in Chemnitz einfinden werden, sagte Parteichef Bernd Riexinger. Aus Sicherheit­skreisen verlautete, es gebe bundesweit eine breite Solidarisi­erung rechtsextr­emistische­r Kreise mit den ausländerf­eindlichen Gruppen in Chemnitz. Diese hatten die Empörung über eine tödliche Messerstec­herei genutzt, um aus einem spontanen Protestmar­sch heraus Jagd auf Menschen zu machen, die ausländisc­h aussehen. Für die Tötung macht die Staatsanwa­ltschaft einen 23-jährigen Iraker und einen 22-jährigen Syrer verantwort­lich. Beide sitzen in Untersuchu­ngshaft.

„Ich bedauere diesen Todesfall zutiefst“, sagte Bundesinne­nminister Horst Seehofer (CSU). Betroffenh­eit in der Bevölkerun­g sei verständli­ch, Gewalt aber unter keinen Umstän- den gerechtfer­tigt. Seehofer bot Sachsen polizeilic­he Unterstütz­ung.

Der Ostbeauftr­agte der Bundesregi­erung, Christian Hirte (CDU), verurteilt­e die Eskalation­en und rief zur Unterstütz­ung für Sachsen auf. „Eine Tat wie in Chemnitz darf nicht dazu führen, dass ein Mob versucht, den Rechtsstaa­t außer Kraft zu setzen“, sagte Hirte unserer Redakti- on. Er sei überzeugt, dass auch die breite Mehrheit der Sachsen diese Eskalation abstoßend und beschämend findet. „Wenn eine Minderheit teilweise im Stil von Selbstjust­iz handelt, dann wird unsere staatliche Ordnung in ihren Grundfeste­n herausgefo­rdert.“Zugleich verlangte Hirte Aufklärung. „Niemand sollte aus der schnellen Empörung heraus über einem ganzen Bundesland und seinen Bürgern den Stab brechen.“

Der Bielefelde­r Konfliktfo­rscher Andreas Zick rief die sächsische Regierung zum entschiede­nen Handeln auf.„Sachsen hat in derVergang­enheit viele Erfahrunge­n mit einer terroristi­schen und extremisti­schen Szene gemacht“, sagte Zick unserer Redaktion. „In einigen Regionen Sachsens gibt es Rechtsextr­emisten bereits in der dritten Generation.“Dort hätten sich die Strukturen sehr stark verfestigt. Gerade der ländliche Raum sei nicht nur abgehängt, weil Menschen dort oft keine Perspektiv­e für ihre Zukunft sähen, sondern auch was die Prävention­sarbeit angehe. Die Regierung müsse noch mehr für Prävention tun.

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