Feindesliebe statt Rache
In Chemnitz wird der Tod eines Menschen instrumentalisiert.
Der Tod eines 35-jährigen Deutschen hat in Chemnitz die Gespenster also wieder ans Tageslicht gezerrt – die des unverstellten Rassismus, der rechtsradikalen Hetze. Erneut ist es eine solche Tat, die zu Wahn und Hysterie führt. Das Opfer wird für politische Ziele instrumentalisiert und damit seiner Würde beraubt. Das interessiert die Schreier wenig. Es hat sie nie interessiert.
Von trauriger Berühmtheit ist ein Mord von 1936. Der jüdische Student David Frankfurter erschoss damals in Davos den Schweizer NSDAP-Landesgruppenchef Wilhelm Gustloff. Das Opfer diente den Nazis dazu, Stimmung gegen alle Juden zu entfachen. Auch damals wurde die Masse mobilisiert und Wilhelm Gustloff zum „Blutzeugen“der Nazis erhoben. Die Erregung selbst von Menschen, die das Opfer nicht kannten und offenbar nur einen Anlass zur Hetze suchen, ist uralt. Es findet sich wieder im Akt der Rache. Und wer politisch kein Motiv dazu hat, findet es in den Religionen: Die Scharia erlaubt die Vergeltung, und auch im Juden- wie im Christentum ist dieses Prinzip bekannt: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“heißt es im Alten Testament.
Doch dabei ging es nie um Eskalation. Der unmittelbare Racheakt sollte – so komisch das klingt – der Begrenzung von Gewalt dienen. Ohne gültige Rechtsordnung hoffte man mit vollzogener Rache gewissermaßen einen Schlussstrich ziehen zu können. Eine Notlösung also. Jesus war es, der ein anderes Prinzip in die Welt setzte, um Gewalt zu beenden. Das ist radikaler, mutiger, revolutionärer: die Feindesliebe. Wer Gewalt beenden will, darf sie nicht ausüben. Er muss fähig zur Vergebung sein, so schwer das sein mag. Wie weit scheint dieses Handeln von dem entfernt zu sein, was sich nun auf den Straßen von Chemnitz abspielt! Wer echten Frieden will, muss den Frieden auch leben.
Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de