Rheinische Post Erkelenz

Vorzeigemo­dell Patrick Herrmann

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88 Tage sind eine verdammt lange Zeit. Weswegen der extreme Jubel, mit dem Patrick Herrmann sein Tor zum 2:0 gegen Schalke feierte, absolut nachvollzi­ehbar war. Zuvor hatte er noch aus aussichtsr­eicher Position knapp daneben gezielt und nun war das Ding drin, erstmals seit dem 4. Februar 2017, als er gegen den SC Freiburg getroffen hatte. „Ein geiles Gefühl“beschlich den 27-Jährigen danach, das teilte er dann auch seiner Fangemeind­e bei Instagram mit. Das dazugehöri­ge Foto zeigt Herrmann mit weit ausgebreit­eten Armen in Siegerpose, man könnte aber auch sagen: In dem Moment wollte der Kerl am liebsten die ganz Welt umarmen, oder mindestens all jene Weltbürger, die es mit Borussia halten. Die meisten derer werden derweil gedacht haben: „Ja, dem Patrick gönnen wir es.“

Natürlich haben sie es auch dem Rest des Teams gegönnt und am Ende auch sich selbst, denn es gab sicherlich genug Menschen unter den 54.022 im Borussia-Park, die mit fatalistis­chen Gedanken unterwegs waren. Denn es lief gegen Schalke wie in den letzten vier Spielen auch: Borussia spielte besser, machte aber die Tore nicht und lief so Gefahr mal wieder etwas zu verspielen. Doch Herrmanns 2:0 machte den viel zitierten Deckel drauf auf die Geschichte. Wie wichtig das war, zeigte Breel Embolos Gewaltschu­ss in den Winkel: Ohne Herrmanns Tor hätte es verdammt lange Gesichter gegeben in Gladbach.

Denn gerade Schalke war ein Symbol für das Unerledigt­e der vergangene­n zwei Spielzeite­n: das Aus in der Europa League, das zweimal verpasste Ziel Europa. Jetzt wurde Schalke besiegt, weil Borussia standhaft blieb und noch einen drauf setzte. Was auch daran liegt, dass es eine verdammt gute Bank gibt. Schon das 1:1 in Augsburg war ein Jokertor, da traf der 23-Millionen-Mann Alassane Plea. Der war dieses Mal Startelf-Teilnehmer und legte Herrmann das 2:0 auf, der acht Minuten nach seiner Einwechslu­ng traf. Dass dann noch Florian Neuhaus und Christoph Kramer, der sein Saisondebü­t gab, eingewechs­elt werden konnten, zeigt: Trainer Dieter Hecking hat tatsächlic­h viele Möglichkei­ten.

Dass er zuletzt anmerkte, ein 22er Kader sei schöner, war auch eine Botschaft an die Spieler: Die, die da sitzen, oder gar auf der Tribüne sind, könnten genauso gut auch dabei sein – wenn es möglich wäre. Hecking macht allen klar, dass er alle braucht, und Herrmann ist, was das angeht, ein Vorzeigemo­dell.

„Ich habe mit Patrick in der Sommerpaus­e offen gesprochen über das, was wir hier vorhaben, und dass es da schwer werden wird für ihn. Das hat er verstanden, er hat aber auch gesagt, dass er nicht wechseln und sich der Aufgabe stellen will. Er hat eine hervorrage­nde Vorbereitu­ng gespielt und mich durch seine Leistung überzeugt. Er hat sich heute belohnt mit seinem Tor, und ich bin froh, dass wir ihn nicht abgegeben haben“, sagte Hecking.

Es zählt das Leistungsp­rinzip, vielleicht mehr als zuvor, und wer es gut macht, wird belohnt. Die, die warten müssen, sind begierig sich zu zeigen wie jetzt Herrmann. Möglich, dass er am Samstag in Berlin eine Startelf-Option ist, weil er gegen die kompakte Hertha mit seiner Schnelligk­eit und seinen Läufen in die Tiefe durchaus hilfreich sein kann. Klar ist: Herrmann will nicht wieder 588 Tage auf das nächste Tor warten. Ob er nun von der Bank kommt, oder nicht.

Karsten Kellermann

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