Immer mehr Krankmeldungen
Von 2008 bis 2016 nahm der Krankenstand um 60 Prozent zu, danach ging er leicht zurück. Der volkswirtschaftliche Schaden liegt laut Bundesregierung bei 75 Milliarden Euro im Jahr.
BERLIN Die Zahl der Tage mit Arbeitsunfähigkeit nach Krankschreibungen in deutschen Unternehmen und Behörden ist in den vergangenen neun Jahren drastisch um mehr als 60 Prozent auf fast 560 Millionen gestiegen. Der dadurch ausgelöste volkswirtschaftliche Schaden nahm zwischen 2008 und 2016 sogar um 75 Prozent zu. Er betrug im vorvergangenen Jahr 75 Milliarden Euro, wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Allerdings ist dabei die Preisentwicklung nicht berücksichtigt. Inflationsbereinigt ergebe sich immer noch ein Schadenszuwachs von mehr als 30 Prozent in den vergangenen 20 Jahren, so das Gesundheitsministerium.
Auch die Krankenkassen verzeichneten bis 2016 einen Anstieg des Krankenstands, der sich aktuell aber vorerst nicht mehr fortsetzt. Die Ursachen des Anstiegs liegen an einigen positiven Trends, aber auch an Fehlentwicklungen. So hat die Erwerbstätigkeit seit 2008 deutlich zugenommen. Allein deswegen sei die Zahl der Krankschreibungen stark gewachsen, argumentiert die Regierung. Hinzu komme eine überdurchschnittliche Zunahme älterer Arbeitnehmer, deren Arbeitsunfähigkeit durchschnittlich mehr als doppelt so lange andauere wie bei den bis zu 39-Jährigen. Allerdings zeigen die Daten auch, dass die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz erheblich zugenommen haben. Mehr Stress durch Zeit- und Leistungsdruck, Schichtarbeit oder mangelnde Wertschätzung durch Arbeitgeber und Vorgesetzte sind einige der negativen Einflussfaktoren. Da die Digitalisierung die Anforderungen in vielen Berufen weiter erhöhen wird, dürfte der Stress für viele größer werden.
Die häufigste Ursache für Krankschreibungen waren Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems, die zwischen 2008 und 2016 um über 60 Prozent zugenommen haben. Schon an zweiter Stelle stehen psychische Erkrankungen und Verhaltensstörungen, die gegenüber 2008 um 125 Prozent geradezu explodiert sind. „Beschäftigte dürfen nicht wie Verschleißteile behandelt werden. Immer mehr, immer schneller, immer unsicherer: solche Arbeitsverhältnisse bringen Rekordgewinne, lassen Arbeitnehmer aber körperlich und seelisch ausbrennen“, sagte Linken-Politikerin Jutta Krellmann. Gut leben Sie forderte ein Verbot von sachgrundlosen Befristungen und eine Anti-Stress-Verordnung. Das wollen auch SPD und Grüne, FDP und Union sind dagegen.
Die Bundesregierung teile nicht die Auffassung, dass die Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahren die Krankmeldungen beschleunigt hätten, heißt es in der Antwort. Psychische Erkrankungen würden heute häufiger diagnostiziert als früher, weil die gesellschaftliche Akzeptanz dafür zugenommen habe. Auch die Arbeitgeber warnten vor Panikmache. „In Deutschland arbeiten heute mehr Menschen als je zuvor, also erhöht sich natürlich auch die Zahl der Krankheitstage. Gerade ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fallen statistisch länger aus“, sagte ein Sprecher der Arbeitgebervereinigung BDA. Dennoch bewege sich der Krankenstand seit anderthalb Jahrzehnten zwischen 3,2 und 4,3 Prozent auf eher niedrigem Niveau. „Grund zur Panikmache gibt es also nicht“, sagte der Sprecher.