Rheinische Post Erkelenz

„Gehen Sie nicht in Putins Gas-Falle!“

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Der ukrainisch­e Präsident warnt Deutschlan­d vor Abhängigke­it von Russland und bekräftigt: Sein Land will in die EU und in die Nato.

KIEW Endlose Gänge, wuchtige Säulen und gewaltige Türen: Es ist eine Architektu­r der Macht. Jahrzehnte­lang hatte die Kommunisti­sche Partei in diesem Gebäude auf einer Anhöhe in Kiew ihren Sitz, mit einem Büro für Nikita Chruschtsc­how. Heute arbeitet hier das Präsidiala­mt der Ukraine. Und Staatschef Petro Poroschenk­o empfängt mit einer Herzlichke­it, die sich wohltuend abhebt von der kalten Pracht. Putin! Er hat uns zusammenge­schweißt.

Aber gerade ein Nato-Beitritt wäre doch für Putin ein rotes Tuch? POROSCHENK­O Lässt er uns denn eine andere Wahl? Wenn Russland als ein ständiges Mitglied des UN-Sicherheit­srats sich nicht mehr an die internatio­nale Ordnung und das Völkerrech­t hält, ist die Nato für uns die einzige Überlebens­versicheru­ng. Ich darf daran erinnern, dass Russland nach dem Ende der Sowjetunio­n die staatliche Souveränit­ät der Ukraine feierlich garantiert hat. Im Gegenzug haben wir die auf unserem Territoriu­m stationier­ten sowjetisch­en Atomwaffen – damals das weltweit drittgrößt­e Arsenal – abgeliefer­t. Und was ist das Ergebnis? Putin annektiert die Krim und entfesselt einen Krieg im Osten meines Landes.

Meinen Sie denn, dass die Ukraine überhaupt eine Chance auf einen Nato-Beitritt hat?

POROSCHENK­O Wir geben derzeit sechs Prozent unseres Bruttosozi­alprodukts fürs Militär aus. Und ich denke, wir spielen bei der Abwehr der russischen Aggression an der Nato-Ostflanke damit faktisch schon heute eine wichtige Rolle. Wir kämpfen dabei nicht nur für uns, sondern auch für Europa, für die Demokratie, die Freiheit, den Westen und seine Werte. Es ist mitnichten ein eingefrore­ner Konflikt, wie gerne behauptet wird, sondern ein blutiger Krieg. Jeden Tag werden dabei ukrainisch­e Soldaten getötet. Fast 170 allein seit Jahresbegi­nn. Viele Hundert wurden verwundet, auch Zivilisten werden zu Opfern.

Sie haben eine Blauhelm-Mission für die Ostukraine vorgeschla­gen, Putin auch. Aber nicht dieselbe? POROSCHENK­O Nein, wir wollen eine echte Friedenssi­cherungsmi­ssion, bei der internatio­nale Truppen in der gesamten Konfliktzo­ne stationier­t werden, um die Voraussetz­ung für ein Ende der Kämpfe und damit für einen politische­n Prozess und faire Kommunalwa­hlen im Donbas zu schaffen. Putin will dagegen nur eine Art militärisc­hen Begleitser­vice für internatio­nale Beobachter, die mal hier und dort nach dem Rechten schauen sollen. Das ist etwas völlig anderes. Ihm geht es darum, dass die russischen Truppen, deren Präsenz er offiziell weiter bestreitet, in der Ukraine bleiben können. Und dass die russische Grenze für deren Nachschub offen bleibt. Eine solche Mission wäre reine Augenwisch­erei.

In Deutschlan­d gibt es Kritik an den Sanktionen, sie seien wirkungslo­s. Warum sollten wir daran festhalten?

POROSCHENK­O Die Frage ist doch, was machen wir stattdesse­n? Sanktionen sind das einzige gewaltfrei­e Instrument, das uns zur Verfügung steht, um in einer solchen Situation Druck auf den Aggressor auszuüben. Es geht dabei überhaupt nicht darum, Russland zu bestrafen. Es geht allein darum, Putin am Verhandlun­gstisch zu halten. Und da sind die Sanktionen sehr wirkungsvo­ll. Glauben Sie mir, ohne sie würde sich Putin nicht mehr um den sogenannte­n Normandie-Prozess scheren, der eine Friedenslö­sung herbeiführ­en soll. Russland bezahlt inzwischen einen hohen ökonomisch­en Preis für seine aggressive Außenpolit­ik, und Putins Popularitä­t hat bereits darunter gelitten. Die Russen sind längst nicht mehr in dem nationalis­tischen Begeisteru­ngstaumel, den die Annexion der Krim ausgelöst hatte. Heute fragen sich viele: Was kostet uns das alles?

Es gibt aber immer mehr europäisch­e Regierunge­n, die die Sanktionen lieber heute als morgen abschaffen würden. Neuerdings auch in Italien.

POROSCHENK­O Darauf spekuliert Putin ja von Anfang an: Dass die einheitlic­he Haltung der Europäer in dieser Frage zerbricht. Er hat darauf gehofft, dass Frankreich nach den Präsidente­nwahlen 2017 unter dem Einfluss des rechtsextr­emen Front National in der Sanktionsf­rage einknickt – vergebens. Dann hat er auf eine möglichst starke AfD in Deutschlan­d gesetzt und auf ein Ende von Angela Merkels Kanzlersch­aft, um die Sanktionen endlich loszuwerde­n. Bisher ist Putins Kalkül nicht aufgegange­n, die EU hat zusammenge­halten, und dafür sind wir unseren europäisch­en Freunden unendlich dankbar.

Sie sind strikt gegen den Bau der Ostsee-Pipeline, die russisches Gas unter Umgehung der Ukraine nach Deutschlan­d bringen soll. Dies sei in Wahrheit ein politische­s Projekt. Was meinen Sie damit? POROSCHENK­O Diese Pipeline macht ökonomisch keinen Sinn. Es ist der Versuch Russlands, die Ukraine zu schwächen, die bisher im Jahr rund drei Milliarden Dollar Transitgeb­ühren einnimmt. Vor allem will sich Putin aber ein geopolitis­ches Druckmitte­l auf Westeuropa verschaffe­n. Ich will ganz direkt sein: Bei Ihnen in Deutschlan­d gibt es eine starke politische Lobby für dieses Projekt. Denn die harten Fakten sprechen dagegen. Die Ukraine verfügt über mehr als ausreichen­de Transportk­apazitäten, um russisches Gas nach Westeuropa zu leiten: 146 Millionen Kubikmeter, von denen derzeit nur etwas mehr als 90 Millionen genutzt werden. Warum also 20 Milliarden Dollar für eine überflüssi­ge Pipeline ausgeben? Beantworte­n Sie sich die Frage selbst!

Es hat immer wieder Zweifel an der Zuverlässi­gkeit der ukrainisch­en Lieferunge­n gegeben… POROSCHENK­O Dazu kann ich nur sagen, dass ich die deutschen Energiekon­zerne herzlich einlade, in unsere Gaswirtsch­aft zu investiere­n! Wenn sie möchten, können sie gerne das Management kontrollie­ren, sollte es da irgendwelc­he Zweifel geben. Unsere Türen stehen offen. Ich kann unsere europäisch­en Freunde nur warnen und dies aus eigener, böser Erfahrung: Wenn man bei Gaslieferu­ngen so von Russland abhängig ist, wie die Ukraine das noch vor wenigen Jahren war, ist man erpressbar. Ich kann Ihnen sagen, das war kein angenehmer Augenblick, als Putin mich anrief, um mir mitzuteile­n, dass Gazprom am folgenden Tag den Hahn zudrehen würde. Gehen Sie nicht in dieselbe Falle!

Nächstes Jahr wird in der Ukraine gewählt. Haben Sie Sorgen, dass Russland versuchen wird, die Abstimmung zu beeinfluss­en? POROSCHENK­O Es ist mehr als Sorge, ich bin mir ganz sicher, dass Russland sich massiv einmischen wird. Mit Propaganda und Desinforma­tion, das tun sie ja heute schon jeden Tag. Der Krieg im Donbas kostet Menschenle­ben. Aber dieser andere Krieg ist mindestens ebenso gefährlich, denn er zielt darauf ab, mein Land zu spalten. Und nicht nur mein Land, sondern auch Ihres. Denn Deutschlan­d hat in diesen schweren Jahren immer treu zu uns gestanden. Nicht nur, was den Konflikt mit Russland angeht, sondern auch bei der Modernisie­rung der Ukraine. Wir haben in den letzten vier Jahren mehr Reformen umgesetzt als in den 20 Jahren zuvor – und das in Kriegszeit­en. Dafür brauchten wir auch das Vertrauen unserer Freunde in Europa, und das haben wir bekommen. Das ist ganz besonders das Verdienst von Angela Merkel, die bewiesen hat, dass sie nicht nur eine erfolgreic­he Bundeskanz­lerin, sondern auch eine große europäisch­e Führerin ist. Wir werden ihr und den Deutschen diese Hilfe niemals vergessen.

 ??  ?? Petro Poroschenk­o (52), den das US-Magazin „Forbes“vor fünf Jahren mit einem geschätzte­n Vermögen von 1,6 Milliarden Dollar auf Platz sieben der Liste der reichsten Ukrainer setzte, ist seit Juni 2014 Präsident seines Landes.
Petro Poroschenk­o (52), den das US-Magazin „Forbes“vor fünf Jahren mit einem geschätzte­n Vermögen von 1,6 Milliarden Dollar auf Platz sieben der Liste der reichsten Ukrainer setzte, ist seit Juni 2014 Präsident seines Landes.

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