Erdogan macht vor Deutschlandbesuch gut Wetter
ISTANBUL (güs) Kurz vor dem Besuch von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan in Berlin in der kommenden Woche haben die türkischen Behörden einen prominenten Regierungskritiker aus der Haft entlassen. Mit der Freilassung des Oppositionspolitikers Enis Berberoglu nach 15 Monaten Gefängnis wolle Ankara das Interesse an einerWiederannäherung an Europa unterstreichen, sagen Erdogan-Gegner. Gestört wird das Versöhnungssignal an Europa jedoch dadurch, dass fast gleichzeitig mit Berberoglus Freilassung ein Haftbefehl gegen einen jungen Österreicher in Ankara erlassen wurde.
Die Finanzkrise und der heftige Streit mit den USA lassen die türkische Regierung nach längeren Verstimmungen im Verhältnis zur EU wieder verstärkt den Kontakt mit Europa suchen. Erdogans Staatsbesuch in Berlin vom 27. bis zum 29. September ist ein wichtiger Teil dieser Initiative. Er gehe voller Hoffnung in die Gespräche in Deutschland, sagte Erdogan kürzlich.
In den vergangenen Wochen hatten regierungsnahe Kommentatoren in den türkischen Medien angedeutet, dass einige besonders prominente politische Häftlinge freikommen könnten. Berberoglu gehört zweifellos dazu. Der frühere Journalist und Parlamentsabgeordnete der Oppositionspartei CHP war im vergangenen Jahr wegen Geheimnisverrats zu fast sechs Jahren Haft verurteilt worden. Er soll Informationen über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes für syrische Rebellen an die Oppositionszeitung „Cumhuriyet“weitergegeben haben.
Das Oberste Berufungsgericht in Ankara ordnete jetzt Berberoglus Haftentlassung an, weil er bei der Wahl im Juni ein neues Parlamentsmandat gewonnen hatte und deshalb Immunität genießt. Kritiker der Regierung sehen darin einen taktischen Schritt der Türkei. Die Journalistin Asli Aydintasbas schrieb auf Twitter, die Haftentlassung sei Folge des „neuen Flirts“der türkischen Regierung mit Europa. Laut Medienberichten könnte auch der seit fast einem Jahr ohne Anklage inhaftierte Kunstmäzen Osman Kavala bald freikommen, der eng mit europäischen Institutionen zusammengearbeitet hatte.
Flexibilität bei besonders prominenten Fällen hatte die Türkei schon in den vergangenen Monaten gezeigt. So durfte der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel nach einjähriger Haft im Februar nach Deutschland ausreisen. Zuletzt hatte die türkische Justiz eine Ausreisesperre gegen die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu aufgehoben.
Derzeit dringt Deutschland in Ankara besonders auf Freilassung von sieben Bundesbürgern, die nach Meinung Berlins aus politischen Gründen in der Türkei in Haft sitzen. Darüber soll beim Erdogan-Besuch in Berlin gesprochen werden; die Bundesregierung hat einen „kritischen Dialog“mit der Türkei angekündigt und betrachtet die Haftfälle als Hindernisse für eine Normalisierung der Beziehungen.