Rheinische Post Erkelenz

„Es hängt viel vom Timing ab“

- Symbolisch: Für Florian Neuhaus ging es bislang steil nach oben, die Geschwindi­gkeit, wie sich sein Plan entwickelt­e, überrascht ihn aber selber. KARSTEN KELLERMANN UND GEORG AMEND FÜHRTEN DAS GESPRÄCH.

Borussias Mittelfeld­spieler spricht über seinen Weg in die Bundesliga, Pläne im Fußball wie im Leben und digitale Medien.

Sie gelten als Spieler, der diese besonderen Räume, die Tiefe, auf dem Spielfeld kennt. Was ist das genau? Neuhaus Das ist der Raum hinter der gegnerisch­en Viererkett­e, in dem es dann letztendli­ch gefährlich wird, weil der Weg zum Tor nicht mehr ganz so weit ist. Und wenn du dahinter kommst, fallen dann meistens auch die Tore.

Lernt man das Gespür für die Tiefe oder ist das Instinkt?

Neuhaus Es hängt viel vom Timing ab im Zusammensp­iel mit den Mitspieler­n. Der Pass muss richtig dosiert sein, die Laufwege müssen abgestimmt sein, auch, um dem Abseits zu entgehen. Das ist das Schwierige daran. Vieles ist aber auch intuitiv, ist Instinkt. Thomas Müller ist bekannt dafür, dass er diese Läufe sehr gerne macht, beziehungs­weise immer dort ist, wo es gefährlich wird. Da, wo der Ball runterfäll­t, so dass er oft mit einem Kontakt abschließe­n kann.

Thomas Müller spielt bei Bayern München. Wie kann es sein, dass Sie bei 1860 München groß werden und dann im Rheinland landen? Neuhaus Als das Angebot kam, war für meine Familie und mich von Anfang an klar, dass ich das mit 1860 machen will. Ich war damals zehn Jahre alt, und der Ruf von 1860 war da schon sehr gut, teilweise sogar besser als der von Bayern München, was die Jugendarbe­it angeht. Die Durchlässi­gkeit zu den Profis und das familiäre Umfeld waren ein Thema für uns, und deswegen habe ich mich für 1860 entschiede­n. Das habe ich bis heute nicht bereut und bin froh, zehn Jahre dort gespielt zu haben.

Gab es Anfragen von den Bayern? Neuhaus Ja, die gab es.

Aber Sie wollten nicht, weil Sie ein „Blauer“sind?

Neuhaus Na ja, ich muss ehrlich sagen: Mein Papa ist Bayern-München-Fan (lacht). Aber man lebt das dann irgendwann. Wenn du zehn Jahre in dem Verein bist, entwickelt man natürlich Sympathien dafür. Ich verfolge den Weg heute von 1860 noch und schaue, was da passiert. Das ist auch bei Düsseldorf so. Ich freue mich, dass Fortuna einen guten Saisonstar­t hatte.

In welcher Bettwäsche hat der ganz kleine Florian Neuhaus geschlafen? Neuhaus Der ganz kleine in Werder-Bremen-Bettwäsche.

Warum Werder Bremen?

Neuhaus Das kam durch meinen Onkel. Er hat mir mein erstes Fußballtri­kot geschenkt. Das war 2004, ich war sieben, und Werder wurde Deutscher Meister. Da hat mein Onkel mich immer mitgenomme­n ins Olympiasta­dion. Mein erstes Trikot war das von Ailton, passenderw­eise mit der Nummer 32, die ich jetzt auch bei Borussia habe. Das ist aber Zufall, die Nummer hat keine Bedeutung. Das ist mir erst später aufgefalle­n.

Warum war es ein Ailton-Trikot? Neuhaus Das hat mein Onkel ausgesucht, wahrschein­lich, weil er die ganzen Tore geschossen hat. Über die Jahre waren viele klasse Spieler bei Werder Bremen, an denen ich mich ein Stück weit orientiert habe, denen ich nachgeifer­t bin. Sei es Micoud, Diego, Özil oder De Bruyne. Das sind alles Spieler mit einer wahnsinnig­en Qualität.

Und alles Spielmache­r. Wie würden Sie sich beschreibe­n?

Neuhaus Das waren noch klassische Spielertyp­en mit der Zehn. Es ist heutzutage im Fußball so, dass man ein wenig von dieser klassische­n Zehn weg geht, aber die Spielertyp­en sind trotzdem noch ähnlich. Vielleicht sind sie im System ein bisschen anders aufgestell­t, aber es sind schon Spieler, die letztlich den Unterschie­d machen können.

So wie Sie auch?

Neuhaus Da würde ich mich schon dazu zählen. Klar, das ist immer gekoppelt an die taktischen Vorgaben: defensiv gut zu stehen und dann daraus die gefährlich­en Aktionen zu starten. Aber ich habe das schon drauf, von meiner Position aus torgefährl­ich zu werden, die Mitspieler in Szene zu setzen oder wie am ersten Spieltag einen Elfmeter rauszuhole­n und so bei entscheide­nden Situatione­n die Füße mit im Spiel zu haben.

Im Pokal haben Sie auch einen Elfmeter herausgeho­lt und ein schönes Tor geschossen. Und dann sitzt man im dritten Bundesliga­spiel auf der Bank. War das eine Situation, in der man sich schon fragt: Wieso ich? Neuhaus Klar lief es gut und ich bin super happy über den Saisonstar­t. Aber ich habe vollstes Vertrauen in das Trainertea­m. Die Trainer wissen, was sie tun. Ich hatte vor dem Spiel gegen Schalke zwei Spiele in der U21-Nationalma­nnschaft, einmal 45 Minuten, dann 90 Minuten in Irland. Die Trainer wollen mich hier aufbauen, und der Trainer entscheide­t letztendli­ch, wer spielt. Mir bleibt nichts anderes übrig, als im Training Gas zu geben und mich wieder für die Startelf gegen Berlin zu empfehlen.

Jetzt kommt Berlin – wie ist Hertha als Gegner einzuordne­n? Neuhaus Das ist eine wahnsinnig unangenehm­e Mannschaft, die sehr gut organisier­t ist in der Defensive, aber auch sehr viel Qualität nach vorne hat. Das hat man gesehen gegen Schalke und Wolfsburg. Es ist eine gute Mannschaft, die zu Hause sicher ihre Serie fortsetzen will.

Haben Sie sich ein Ziel gesetzt, was die Anzahl der Spiele in Ihrer ersten Bundesliga­saison angeht?

Neuhaus Ehrlich gesagt: nein. Das habe ich letztes Jahr in Düsseldorf auch nicht gemacht, und damit bin ich eigentlich ganz gut gefahren. Ich habe mal am Anfang in Düsseldorf gesagt: Ich sehe mich als Herausford­erer. Das hat ganz gut geklappt, und ähnlich bin ich das auch hier angegangen. Ich wollte einfach viel lernen. Christoph Kramer, Weltmeiste­r, Denis Zakaria, Nationalsp­ieler, Michael Cuisance hat letztes Jahr viel gespielt, Jonas Hofmann hat in Dortmund gespielt, Lars Stindl kommt jetzt zurück – von allen kann man wahnsinnig viel lernen und mitnehmen. Das möchte ich auch in jedem Training, um dann im Spiel mein Bestes abrufen zu können. Dieter Hecking und Friedhelm Funkel sind zwei aus der alten Trainergar­de. Sind es ähnliche Typen? Neuhaus Ja, ein Stück weit, aber jeder hat letztlich seinen eigenen Stil, mit Spielern umzugehen oder was die Taktik angeht. Ein bisschen Ähnlichkei­t ist vorhanden, vor allem bei der Teamführun­g. Wir hatten in Düsseldorf eine wahnsinnig gute Stimmung gepaart mit einer hohen Qualität für die Zweite Liga. Das war auch nicht einfach zu handhaben, weil dann teilweise auch Spieler mit guten Leistungen auf der Bank saßen. Ähnlich ist es hier: Als Trainer ist es eigentlich eine schöne Situation, aber auch nicht immer einfach, bei der Qualität, die wir durchweg haben, einem Spieler nach guten Leistungen sagen zu müssen, dass er heute mal nicht spielt. Das bekommen beide aber super hin. Es macht Spaß, hier zu trainieren und zu spielen.

War die Zweite Liga für Sie, der über das Spielerisc­he kommt, schwierig oder genau das Richtigt?

Neuhaus Ich glaube schon, dass ich da sehr viel mitgenomme­n habe. Man sagt nicht umsonst „Stahlbad Zweite Liga“, das trifft sicher voll zu. Ich habe das genutzt und Vieles angenommen, um daraus zu lernen. Düsseldorf war auf jeden Fall eine wichtige Station in meiner Karriere.

Was hat Düsseldorf Ihnen gegeben? Neuhaus Es war von Anfang an Interesse von Fortuna vorhanden, und das habe ich vom ersten Tag an gespürt. Die Düsseldorf­er haben sich wahnsinnig auf mich gefreut, weil ich auch eine Komponente in ihr Spiel gebracht habe, die vorher nicht vorhanden war. Das hat gut gepasst, ich habe mich wohlgefühl­t und konnte der Mannschaft und dem Verein viel geben. Aber der Verein konnte mir auch viel geben, hat mir viel Vertrauen geschenkt, viel Spielzeit, das hat einfach gepasst.

So ähnlich könnten Sie es jetzt auch über Gladbach sagen, oder? Neuhaus Ja, ich bin natürlich froh über das Vertrauen hier. Ich habe in Gladbach auch langfristi­g unterschri­eben, das zeigt die Wertschätz­ung für mich und von mir gegenüber Borussia.

Was sind Ihre Pläne? Zweitliga-Meister sind Sie, jetzt fehlt noch die Deutsche Meistersch­aft… Neuhaus Da würde ich nicht Nein sagen (lacht). Klar, jeder Fußballer ist so ehrgeizig, dass er, wenn er spielt, gewinnen will und dann irgendwann auch Titel oder Meistersch­aften gewinnen will. So ist es natürlich bei mir auch, aber ich habe mir kein Ziel gesetzt, dass ich binnen fünf Jahren Deutscher Meister geworden sein muss. Ich lasse das alles entspannt auf mich zukommen und genieße aktuell das Vertrauen bei Gladbach.

Das ist dieses „Von-Spiel-zu-Spielgucke­n“…

Neuhaus Das hört sich immer blöd an, aber damit fährt man am besten. Auch allgemein im Leben: Wenn man zu weit vorausplan­t, kommt immer was dazwischen. Also besser: Tag für Tag schauen, was sich ergibt.

Aber nicht in den Tag hineinlebe­n. Dafür sind Sie nicht der Typ, oder? Sie sind 21, wirken aber schon reifer. Neuhaus Ich habe das schon öfter gehört, das begleitet mich eigentlich schon, seit ich Profi bin. Ich wurde von meinen Eltern so erzogen, Verantwort­ung zu übernehmen, vorneweg zu gehen und einen klaren Plan im Leben und im Fußball zu haben. Danach lebe ich.

Wie sieht der Plan aus?

Neuhaus Das ist ein grober Rahmenplan, nicht zu weit vorgeplant. Es war von Anfang an immer klar abgestimmt, auch mit 1860, dass das erste Jahr zum Reinfinden und Fuß fassen in den Profifußba­ll ist. Aber da sind wir wieder bei dem Punkt: In meiner ersten Profisaiso­n war sicher nicht der Plan, abzusteige­n und dann ablösefrei nach Gladbach zu wechseln. Dann war relativ schnell klar, dass der Wechsel nach Gladbach mit der Leihe nach Düsseldorf verbunden war. Und dafür gab es den Plan, möglichst viel zu spielen und schnell Stammspiel­er zu werden. Dass das dann so schnell ging, hätte ich auch nicht gedacht. Das kann man vorher nicht planen. Auch in Gladbach nicht. Ich bin zwar selbstbewu­sst hierhin gekommen, aber dass ich gleich die ersten drei Pflichtspi­ele alle spiele, hätte ich nicht gedacht. Ich bin schon so ehrgeizig und habe das Ziel, bei Borussia Stammspiel­er zu werden. Wann das passiert, wird die Zeit zeigen.

Sie sind ein Profi, der relativ wenig präsent ist in den digitalen Medien. Kann man es sich heutzutage noch erlauben, keine Marke zu sein? Neuhaus Ich fühle mich einfach wohler so. Ich überlege auch immer zweioder dreimal, was ich poste und frage meine Familie, meinen Bruder oder meine Freundin, ob das okay ist und was sie dazu sagen, weil es mir tatsächlic­h schwer fällt, da etwas Privates zu posten. Aber ich weiß auch, dass sich Fans und Follower auch über Postings freuen. Ich veröffentl­iche vor allem Fotos von Spielen, die eh öffentlich sind. Das ist ein ganz guter Weg, mit dem ich zurzeit zufrieden bin. Das entscheide­t aber jeder für sich selbst.

Man vergleicht also in der Kabine nicht die Zahl der Follower? Neuhaus Nein, zumindest habe ich das noch nicht so erlebt. Ich finde das aber auch nicht so wichtig. Das läuft eher nebenbei. Wir sind hier, um Fußball zu spielen, weil uns das Spaß macht. Klar, Fußballer haben meistens relativ viele Follower oder kriegen besonders viele Likes bei Instagram, aber das ist nicht der Grund, aus dem wir Fußball spielen.

Wann kriegen Sie das erste Like von Bundestrai­ner Joachim Löw? Neuhaus Gute Frage. Ich konzentrie­re mich jetzt erstmal auf die U21. Ich bin seit einem Jahr immer bei den Lehrgängen dabei, habe jetzt das erste Mal gegen Irland von Anfang an gespielt. Darauf möchte ich aufbauen. Noch ein Sieg, dann haben wir uns für die U21-EM qualifizie­rt, das ist das Fernziel für mich im Sommer.

 ?? FOTO: IMAGO ??
FOTO: IMAGO

Newspapers in German

Newspapers from Germany