Rheinische Post Erkelenz

Pfaffs Hof

- Von Hildtrud Leenders

Sie grinste vor sich hin und dann mich an. Dabei strickte sie schon, ohne hinzuschau­en. Sie hielt die Nadeln ganz komisch, eine unter den Arm geklemmt, eine frei, und legte den Faden mit dem Finger drüber.

„Weißt du denn auch, wie man ein neues Teil anfängt?“

Ich nickte. „Aufstricke­n.“

Sie schüttelte den Kopf und holte ein zweites Paar Nadeln aus ihrer Tasche. „Komm, setz dich mal, Mädel, ich zeig dir, wie das richtig geht.“

Sie legte die Nadeln aneinander und schlug mit flinken Fingern Schlaufen darüber, dann zog sie eine der beiden Nadeln heraus, und man hatte schöne große Maschen, in die man gut hereinkam.

Das war alles ganz anders, als Mutter es mir gezeigt hatte, aber als ich es selbst versuchte, ging es ganz leicht und machte Spaß.

„Alles Gehudel“, erklärte Mutter mir später. So strickten die Katholisch­en hier in der Gegend. Das konnte jeder, der etwas vom Stricken verstand, auch sofort sehen – keine Qualität.

Als Mutter zurückgeko­mmen und mit Tante Käthe ins Haus gegangen war, hatte ich mich sofort in mein Hauptquart­ier zurückgezo­gen und war erst wieder in die Küche gegangen, als die Zigeunerin weg war. „Was wollte die denn?“

Mutter hatte den Umstandsro­ck hochgescho­ben, machte die guten Seidenstrü­mpfe von den Strapsknöp­fen ab und rollte sie vorsichtig nach unten.

„Sie wollte sich Geld leihen.“

Mir blieb der Mund offen. „Von uns?“

„Ja, stell dir vor!“

Ich lachte mit.

Es war am Montag nach dem ersten Advent, als Fräulein Maslow Eier kaufen kam und mir ein Buch mitbrachte.

Vater war beim Spätdienst, deshalb hatte ich am Vorabend allein mit Mutter den Advent gefeiert.

Wir hatten nie wie alle anderen, die ich kannte, einen Adventskra­nz mit roten Kerzen, sondern eine blassgrüne Porzellans­chale, in die Mutter Tannenzwei­ge legte, die sie mit Eicheln, Buchenfrüc­hten und winzigen Fliegenpil­zen aus gepresster Watte schmückte.

Mutter knipste alle Lampen aus, und in Pfaffs Wohnzimmer war es richtig finster mit nur der einen brennenden Kerze und kein bisschen feierlich.

Wenn Vater da war, sangen wir „Kling, Glöckchen“und „Leise rieselt der Schnee“und all die anderen Lieder, die wir auch in der Schule sangen. Gestern hatten wir nur Mutters Lieder gesungen, „Es kommt ein Schiff geladen“, „Macht hoch die Tür“und „Ein feste Burg ist unser Gott“.

Fräulein Maslow drückte mir das dicke Buch in die Hände.

„Mir ist zu Ohren gekommen, dass hier jemand gern liest.“Sie lächelte ein bisschen. „Dieses Buch habe ich als junges Mädchen geradezu verschlung­en.“

Es hatte einen fleckigen Leinenumsc­hlag. „Der Trotzkopf“stand auf dem Buchrücken.

„Es ist eines der wenigen Dinge, die ich habe retten können. Gib gut darauf acht.“

Ich bedankte mich brav und verschwand in meinem Korbsessel.

Das Buch war komisch geschriebe­n, und es roch auch nicht gut.

Gerade fing ich noch einmal auf der ersten Seite an, um sie ganz langsam zu lesen, als ich hörte, wie Mutter in der Küche meinen Namen sagte. Ich spitzte die Ohren.

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