Rheinische Post Erkelenz

Wo das Nichts so erholsam ist

Von Faßberg aus wurde Ende der 1940er-Jahre die Berliner Luftbrücke organisier­t. Heute ist der Ort zwischen Celle und Soltau vor allem eines: eine Oase, in der man zur Ruhe kommt.

- VON WOLFRAM GOERTZ

Früher habe ich gesagt: Da bekommen mich keine zehn Pferde hin. Wer will schon in die Lüneburger Heide? Wacholderw­älder. Heidschnuc­ken. Truppenübu­ngen. Tiefstes Niedersach­sen. Totes Gelände.

Dann habe ich diesen See mit seiner lieblichen Ruhe gesehen und schlendern­d umrundet, habe einer Herde von Heidschnuc­ken in die Augen geschaut, habe geahnt, dass es nicht mehr viele davon gibt, bin mit dem Kanu auf einem Fluss namens Örtze durch die Einsamkeit gepaddelt. Dann habe ich das Ohr aufgesperr­t und etwas knattern hören, eine Sensation in dieser Ruhe: Es war ein Bundeswehr-Hubschraub­er. Doch bald schloss die Welt wieder für Stunden ihr Fenster, so dass kaum ein menschlich­er Laut mehr zu uns drang. Süßes Nichts. Da wusste ich: Hierhin möchte ich öfter reisen.

Wir befinden uns in Faßberg, einem Ort zwischen Celle und Soltau, den wir alle sehr gut und doch gar nicht kennen. Von hier aus, der Militärsta­dt, die die Nazis 1933 in die Südheide gepflanzt hatten, wurde 1948 und 1949 die Berliner Luftbrücke organisier­t. Noch heute gibt es am Ortsrand das Luftbrücke­nmuseum, in dem als Mittelpunk­t eine originale Douglas C-47, der „FaßbergFly­er“, steht. Berliner erinnern sich wehmütig an den 20. Dezember 1948 und die „Operation Weihnachts­mann“: Vom Stützpunkt Faßberg aus wurden Geschenke für 10.000 West-Berliner Kinder eingefloge­n. Heute nimmt im umgebauten Transportr­aum gelegentli­ch das örtliche Standesamt Platz, um flugaffine Brautleute in kurioser Umgebung zu trauen.

Liegt hier nicht der Hund begraben? Nein, Faßberg ist vielmehr eine Oase, in der es freilich alles sehr reich (Discounter, Bäckereien, Restaurant­s) gibt – mit allem, was die Welt braucht, denn Bundeswehr und französisc­he Luftwaffe sind mit Ausbildung­seinheiten immer noch in Faßberg stationier­t; die Soldaten sollen sich wohlfühlen. Das Plaisir ist auch auf Seiten der Bürger, denn die Startbahn liegt so abseitig, dass man von den ohnedies wenigen Flügen nichts mitbekommt. Soldaten sind im Stadtbild präsent, in Faßberg gehören sie einfach dazu. Ebenso wie Fremde werden sie hier gastfreund­lich behandelt und unmerklich eingemeind­et.

Das mit dem „Dolce far niente“, dem süßen Nichtstun, ist so eine Sache. In Faßberg ist man von fast jedem Punkt aus in etwa 30 Sekunden im Wald, im Feld, in der Heide oder im Nirgendwo. Dort kann man wandernd aktiv werden. In zwei Kilometern Entfernung gibt es den historisch­en Ortsteil Müden, dessen Gründung ins 8. Jahrhunder­t zurückreic­ht. Noch heute ist Müden mit seinem Kopfsteinp­flaster der herausgepu­tzte Teil der Gemeinde Faßberg, mit Heidesee und Hotels auch touristisc­h orientiert. Am Rand des Sees findet einmal im Jahr eine spektakulä­re Heidschnuc­kenAuktion statt, an deren Ende der „Mr. Müden“gekürt wird.

Die Heidschnuc­ken findet man im Ortsteil Schmarbeck, und wer weiter Richtung Wacholderw­ald spaziert oder radelt, den überfällt in diesen Tagen ein Farbenmeer aus Lila und Violett, die typische Leuchtrekl­ame der Lüneburger Heide. Diesmal ist sie wegen des heißen Sommers etwas blasser ausgefalle­n. Man selbst verliert seine Blässe im Freibad Herrenbrüc­ke, dem man von der Landstraße nicht ansieht, wie riesig es ist. Da können ganze Bataillone herumliege­n und schwimmen, ohne einander ins Gehege zu kommen. Hier bin ich neulich zum ersten Mal seit Kindertage­n vom Dreier gesprungen, und keiner hat zugeschaut. So ist Faßberg.

Und dann diese Weiten von Heidschnuc­kenwegen, Waldpfaden und vor allem Radwandern­etzen. Für den Naturpark Südheide, an dessen oberem Zipfel Faßberg liegt, gibt es eine Faltkarte mit 17 Thementour­en, eine schöner als die andere. Wer hier Urlaub macht und sich die Fahrräder aufs Autoheck geschnallt hat (oder sich welche leiht), der kann bei minimalen Höhenunter­schieden Waldlandsc­haften, Wildtiere und Flussauen erkunden, kann Bienenzüch­ter besuchen, Hügelgräbe­r aus der Bronzezeit bestaunen oder die legendären drei Vermessung­spunkte des Mathematik­ers Johann Carl Friedrich Gauß erkunden, die es auf den Anhöhen der Südheide gibt. Für literarisc­he Interessie­rte empfiehlt sich der Lönsstein, der dem Heidedicht­er Hermann Löns gewidmet ist.

Von Faßberg kann man natürlich in kurzer Zeit andere sehr spezielle Attraktion­en auch für Kinder erreichen: das Südsee-Camp, den Vogelpark Walsrode, die KZ-Gedenkstät­te Bergen-Belsen, den Barfußpark in Egestorf, das Panzermuse­um in Munster oder das verrückte, auf dem Kopf stehende Haus in Bispingen. Aber abends ist man froh, wieder in Faßberg zu sein – wo das Nichts so erholsam ist.

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Das Luftbrücke­nmuseum zeigt eine originale Douglas C-47 – auch „Faßberg-Flyer“genannt.
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Im Faßberger Ortsteil Schmarbeck gibt es auch heute noch mehrere Heidschnuc­ken-Schäfer.

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