Rheinische Post Erkelenz

„Krieg als Thema ist mir zu pervers“

- CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER FÜHRTE DAS INTERVIEW.

Der Autor hat die Romanvorla­ge für die Serie „Babylon Berlin“geliefert, die am Sonntag im Ersten startet.

Werden Sie am Sonntagabe­nd vor dem Fernseher sitzen?

KUTSCHER Ich habe „Babylon Berlin“bereits mehrmals gesehen, daher werde ich wahrschein­lich nicht schauen. Aber ich bin sehr froh, dass die Verfilmung so gut geworden ist.

In der Verfilmung ist vieles anders als in der Romanvorla­ge … KUTSCHER Das stimmt. Für mich ist es aber entscheide­nd, dass die Filmemache­r dieselbe Intention verfolgen wie ich. Es geht darum zu zeigen, dass die Menschen damals nicht wussten, dass sie aufs Dritte Reich zusteuerte­n. Dass es sehr schnell gehen kann, dass eine Demokratie vor die Hunde geht. Die Gefahren aufzuzeige­n, liegt mir sehr am Herzen, gleiches macht die TVSerie. Das gilt ebenso für die Figuren, auch wenn sie in der Verfilmung anders angelegt sind – aus dramaturgi­schen Gründen. Aber es funktionie­rt.

Was ist zum Beispiel anders? KUTSCHER Nehmen wir die Hauptfigur Geron Rath. In der Adaption ist er wirklich Kriegsteil­nehmer und an der Front im Ersten Weltkrieg gewesen. Dadurch hat er ein schweres Trauma erlitten und nimmt deshalb Drogen. In meinen Büchern ist das anders. Da war er nicht im Krieg. Anders als im Film spielt der Weltkrieg, den man damals noch nicht nummeriere­n musste, in meinen ersten Romanen nur eine untergeord­nete Rolle. Erst im Buch „Märzgefall­ene“wird er richtig thematisie­rt.

Und gefällt Ihnen das?

KUTSCHER Es ist grundsätzl­ich nicht verkehrt, dass die TV-Adaption eigene Wege geht. Das soll eine Adaption ja auch.

Hatten Sie ein Mitsprache­recht bei den Drehbücher­n?

KUTSCHER Ich bin gar nicht so direkt in das Filmprojek­t involviert, aber einbezogen werde ich schon. Die Regisseure und Autoren haben mich immer mit sehr großem Respekt behandelt und mir auch immer die Drehbücher gezeigt. Ich konnte auch stets meinen Senf dazu tun.

Wie geht es mit der Fernsehser­ie weiter? Gibt es weitere Staffeln? KUTSCHER Auch der zweite Gereon-Rath-Roman („Der stumme Tod“) wird adaptiert. Soweit ich weiß, sind die Arbeiten am Drehbuch fast abgeschlos­sen. Ende des Jahres sollen die Dreharbeit­en beginnen. Und eine Anfrage für meinen

dritten Roman „Goldstein“gibt es auch schon.

„Der nasse Fisch“erscheint auch als Hörspiel . Wie kam es dazu? KUTSCHER Wie bei der Fernsehser­ie sind da andere an mich herangetre­ten. Ein Hörspielre­dakteur von Radio Bremen hat mich gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Und ich sagte: Natürlich. Das Hörspiel ist eine Kunstform, die ein wenig der Buchserie um Kommissar Gereon Rath von Volker Kutscher. Regie führten Tom Tykwer, Achim von Borries und Henk Handloegte­n. Hauptdarst­eller sind Volker Bruch als Kommissar Gereon Rath und Liv Lisa Fries als Charlotte Ritter, die ebenfalls bei der Polizei arbeitet.

Neuer Roman Der siebte Teil der Gereon-Rath-Serie erscheint am 30. Oktober. Er heißt „Marlow“und spielt im Jahr

1935. ins Hintertref­fen geraten ist. Unverdient­erweise, weil das ein sehr spannendes Genre ist. Über diese Adaption freue ich mich sehr.

Ist das Hörspiel näher am Buch dran?

KUTSCHER Das Hörspiel ist sehr viel näher am Roman dran. Die TV-Serie hat sich ja sehr viel mehr Freiheiten genommen. Es wurden 16 Folgen aus einem Buch gemacht. Da sind aus Nebensätze­n ganze Handlungss­tränge geworden, die gar nicht im Roman auftauchen. Dagegen ist das Hörspiel auch beim Namen des Romans geblieben. Was ich auch sehr gut finde. Das ist für mich eine große Ehre.

Am 30. Oktober erscheint der siebte Rath-Roman. Worum geht es? KUTSCHER Es geht um die sich zuspitzend­e Auseinande­rsetzung zwischen Gereon Rath und der Unterweltg­röße Johann Marlow. Die Situation wird eskalieren. Der Roman spielt im Jahr 1935. Deshalb werden auch die Nürnberger Gesetze eine Rolle spielen. Mehr will ich aber noch nicht verraten.

Auf wie viele Teile dürfen sich die Fans noch freuen?

KUTSCHER Nach „Marlow“auf jeden Fall noch auf zwei weitere, wahrschein­lich sogar auf drei. Die Serie soll im Jahr 1938 enden. Die Novemberpo­grome sollen den Schlusspun­kt setzen. Bis dahin will ich auf jeden Fall erzählen. Ursprüngli­ch hätte ich mit dem nächsten Roman im Jahr 1936 aufgehört. Denn ich wollte eigentlich vier Romane aus der untergehen­den Weimarer Republik und vier in der sich etablieren­den Diktatur erzählen. Und da wäre ich im Jahr 1936 gelandet, im Jahr der olympische­n Spiele in Berlin.

Und was hat Sie daran gestört? KUTSCHER Es wäre aus meiner Sicht falsch gewesen, mit diesem Jahr aufzuhören, weil 1936 ein viel zu positives Jahr im Dritten Reich war. Erst 1938 war wirklich allen klar, wohin die Reise geht, dass es auf die Ermordung der Juden und einen neuen Krieg hinausläuf­t. Auf den Krieg und in den Holocaust möchte ich in meinen Romanen nicht eingehen, diese Dinge sind mir zu pervers, zu weit weg vom normalen menschlich­en Leben. Mir geht es um die Jahre der Weichenste­llung – die Jahre, die in den Untergang führten.

Hörspiel, TV-Serie und Romane. Können Sie das beim Schreiben noch voneinande­r trennen? KUTSCHER Sogar besser, als ich selbst gedacht habe. Es ist nicht so, dass ich jetzt Bilder aus der Fernsehser­ie im Kopf habe, die die aus den Büchern überlagern. Das sind zwei verschiede­ne Welten in meinem Kopf. Das habe ich beim Schreiben von „Marlow“gemerkt. Ich gehe mit den Figuren in den neuen Roman immer so hinein, wie sie aus dem alten herausgeko­mmen sind.

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FOTO: ARD/DEGETO/SKY Die Serie entführt in das Berlin der 20er und 30er Jahre, die Romanreihe thematisie­rt auch den Aufstieg der Nationalso­zialisten.
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FOTO: M. SANDEL Volker Kutscher

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