Burghofbühne fordert das Publikum
Mit einer bemerkenswerten Inszenierung begann die neue Theaterspielzeit. Die Burghof bühne Dinslaken spielte „Mutter Courage und ihre Kinder“– und irritierte zunächst, bedrückte später und bekam am Ende lange Beifall.
ERKELENZ Was soll das bloß noch werden, fragten sich viele in der Erkelenzer Stadthalle zur Pause der Aufführung von Bertholds Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“, mit der die Kultur GmbH die neue Theaterreihe eröffnete. Wer das Original nicht kannte, hatte es nicht leicht, der Inszenierung von André Rößler zu folgen, der das Drama mit der Burghofbühne Dinslaken einstudiert hatte.
Die einfach gehaltene Kulisse aus dunkelgrauen Wänden, die fast alle uniform gekleideten Schauspieler in roten Sporthosen und weißen Shirts, die oft akustisch unverständlichen Lieder erschwerten das Verfolgen des vermeintlich bekannten Geschehens auf der Bühne. Sie raubten viel Konzentration, die die Fixierung auf das Wesentliche beeinträchtigten: Die Marketenderin Mutter Courage, die mit ihren drei Kindern im 30-jährigen Krieg hinter den Truppen herzieht und vom Leben und Sterben auf dem Schlachtfeld profitiert.
Nur dank der Videoeinspielungen auf einem Bildschirm, dem Courage-TV, durch welche die einzelnen Szenen nachrichtenmäßig angekündigt wurden, kam Licht in das fast Undurchdringliche. Aber war das noch Brecht, der den Krieg und die Verrohung der Menschen anprangerte?
Die Skepsis zu Beginn des zweiten Teils war groß. Doch dann gewann die Inszenierung eine überraschende Dynamik. Wurde schon im ersten Teil das Publikum „instrumentalisiert“, um durch höhnischen Sprechgesang die eigene Kraft zu stärken und den Feind herabzusetzen, wurde nun aus seiner Mitte ein Freiwilliger gesucht, der die Exekution am Sohn von Mutter Courage vollziehen sollte. Für 250 Euro ließ sich eine junge Frau dafür „einkaufen“. War das noch Spiel? Oder zeigte sich hier im vermeintlichen Spiel das wahre Leben, die Käuflichkeit der Menschen, die Moral, der Wert, der Preis, den jeder bereit ist zu zahlen oder zu nehmen?
Mutter Courage verliert viel durch den Krieg, nachdem sie beklagt, dass der Frieden sie ruiniert. Ihre Kinder sterben. Sie klammert sich ans Prinzip Hoffnung, als sie ihre tote Tochter Kattrin in den Armen hält und irrtümlich glaubt, einer der Söhne würde noch leben. Eilif wird hingerichtet, weil er in einer kurzen Periode des Friedens das tut, was ihm während des Kriegstreibens als Heldentat angerechnet wird. Der andere, Schweizerkas, muss sterben, weil die ihm anvertraute Feldkasse verschwunden ist. Der Krieg kennt nur Opfer, keine Moral und keine Grenzen. Alle wissen es, doch will es niemand glauben.
Am Ende bleibt in der Erkelenzer Stadthalle minutenlang – bedrückende Stille. Das irritierte Publikum ist mit seinen Fragen allein. War das noch Brecht? Oder war die Aufführung eine zulässige Umsetzung des Dramas mit modernen Mitteln? Der Krieg kennt keine Gnade, der Zweck heiligt der Mittel. Insofern war es doch Brecht, der da aufgeführt wurde.
Erst nach Minuten setzt verhaltener Beifall ein, der dann aber schnell langanhaltend und rhythmisch wird. Der Beifall ist der verdiente Lohn für das Ensemble und für einen durchaus gelungenen Einstieg in die neue Theaterspielzeit in Erkelenz, nach dem es zunächst gar nicht ausgesehen hatte.