Rheinische Post Erkelenz

Köln im Ausnahmezu­stand

Der Besuch des türkischen Präsidente­n stellt die Polizei vor Herausford­erungen.

- VON PHILIPP JACOBS

KÖLN Die Kölner Polizei rechnet beim bevorstehe­nden Besuch des türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan am Samstag mit erhebliche­n Verkehrspr­oblemen. Erdogan soll nach bisherigem Kenntnisst­and der Polizei am Samstag um 14 Uhr in Köln landen und gegen 15 Uhr an der Zentralmos­chee des deutsch-türkischen Islamverba­nds Ditib im Stadtteil Ehrenfeld eintreffen. Die Polizei wird mit etwas mehr als 3000 Einsatzkrä­ften vor Ort sein, sagte Polizeiprä­sident Uwe Jacob am Donnerstag während einer Pressekonf­erenz.

Hilfe bekommt die Kölner Behörde unter anderem von Hundertsch­aften aus Niedersach­sen, Rheinland-Pfalz, Hessen und der Bundespoli­zei. Zudem seien Dolmetsche­r im Einsatz, um rechtlich fragwürdig­e Sprechchör­e erkennen zu können. „Es wird nicht nur ein Kölner Einsatz“, sagte Jacob. Er sprach von einer Stadt im Ausnahmezu­stand. „Die Polizei wird Gewalt, egal von wem sie ausgeht, sehr früh und entschloss­en begegnen.“

Erdogan will bei seinem Besuch die Zentralmos­chee der Ditib offiziell eröffnen. 500 Gäste sind dafür geladen. Der nordrhein-westfälisc­he Ministerpr­äsident Armin Laschet (CDU) wird den türkischen Präsidente­n auf Schloss Wahn nahe dem Flughafen zu einem persönlich­en Gespräch treffen. Zur Moschee-Eröffnung geht Laschet nicht.

Der genaue Ablauf des Besuchs ist derweil noch unklar. So weiß die Kölner Polizei bisher nicht, ob Uwe Jacob Kölner Polizeiprä­sident

Erdogan nach seiner Ankunft am Flughafen im Steigenber­ger Hotel haltmachen wird oder Teile seiner Delegation. In dem Hotel hat die türkische Regierung einige Zimmer gebucht. Auch die genaue Route, die Erdogan vom Flughafen aus nehmen wird, ist noch nicht bekannt. Sie soll erst am Samstagmor­gen vorliegen. Jacob verwies jedoch bereits darauf, dass Autobahnab­schnitte komplett gesperrt werden müssten.

Um die Moschee errichtet die Polizei einen Sicherheit­sbereich. Maximal 5000 Personen sollen ihn betreten dürfen – nach einer Kontrolle durch die Beamten. Die Ditib rechnet aber mit bis zu 25.000 Besuchern. Die Polizei wird deshalb eine zusätzlich­e Ausweichfl­äche am Grüngürtel einrichten. Zudem wird es eine Flugverbot­szone mit einem Radius von 60 Kilometern um die Kölner Innenstadt geben. Passagierm­aschinen sind davon jedoch nicht betroffen – sie fliegen zu hoch.

Große Bauchschme­rzen bereitet der Polizei vor allem das Sicherheit­skonzept der Ditib, das bisher nicht vorliegt. Dieses war nötig geworden, weil der Islamverba­nd auf Facebook alle „deutschen und türkischen Freunde“zu der Moschee-Eröffnung eingeladen hatte. Die Ditib muss das Konzept nun bis Freitagmor­gen vorlegen. Geschehe dies nicht, sei „theoretisc­h“noch eine Absage der Veranstalt­ung an der Moschee möglich, sagte Jacob. Am Mittwoch habe es noch ein Gespräch mit den Ditib-Vertretern gegeben. In diesem sei klar geworden, dass die Verantwort­lichen des Islamverba­nds das Ausmaß der Veranstalt­ung unterschät­zt hatten. am 30. April 2017 in ihre Wohnung eingedrung­en, die Polizisten des türkischen Sondereins­atzkommand­os. Vor den Augen ihres kleinen Sohnes, den Tolu damals zunächst bei ihr unbekannte­n Nachbarn abgeben musste, wie eine Kollegin damals berichtete. Der Vorwurf gegen sie lautete: Mitgliedsc­haft in der linksextre­men MLKP, die in der Türkei als Terrororga­nisation eingestuft wird.

„Ich habe für eine sozialisti­sche Nachrichte­nagentur gearbeitet und auch Interviews mit Abgeordnet­en aus Deutschlan­d geführt“, sagt die 34-Jährige rückblicke­nd. Bei dem letzten Interview vor ihrer Verhaftung habe es sich um ein Gespräch mit einer EU-Parlamenta­rierin der Partei Die Linke gehandelt.

In der ersten Zeit im Gefängnis durfte sie nach Angaben ihrer Familie niemand besuchen. Bis deutsche Diplomaten erstmals Zugang erhielten, dauerte es zwei Monate. Nach einer 90-minütigen Unterhaltu­ng gaben sie zu Protokoll, es gehe ihr „den Umständen entspreche­nd gut“.

Tolus Großeltern waren nach Deutschlan­d ausgewande­rt. Ihr Vater, ein Automechan­iker, war ihnen später gefolgt. Weil Tolus Mutter bei einem Verkehrsun­fall während einer Urlaubsrei­se in die Türkei 1990 ums Leben kam, wurde sie von ihrer Großmutter betreut.

Der jungen Frau drohten laut Anklage in der Türkei 15 Jahre Haft. Im Gerichtspr­ozess erhob sie die Stimme, wies die Terrorvorw­ürfe gegen sie zurück und beschwerte sich über

die Haftbeding­ungen: Fünf Monate sei sie ohne Urteil in Untersuchu­ngshaft festgehalt­en worden. Mehr noch: Sie kritisiert­e die Einschränk­ung der Pressefrei­heit in der Türkei.

Zwei Monate später kam Tolu zwar frei. Ausreisen durfte sie aber noch immer nicht. Dazu bedurfte es offenbar weiterer diplomatis­cher Anstrengun­gen. Erst am 20. August dieses Jahres war es soweit. In einer Pressekonf­erenz sagte sie gleich nach ihrer Rückkehr: Freuen könne sie sich über ihre Entlassung nicht, weil in der Türkei Hunderte Journalist­en, Opposition­elle, Anwälte und Studenten noch immer in Haft seien.

Rund 130 Fälle von Journalist­en gebe es zurzeit, die auf Grundlage der türkischen Anti-Terror-Gesetze angeklagt seien, bekräftigt sie heute – auch um deutlich zu machen, welch eine große Zumutung der Erdogan-Besuch aus ihrer Sicht ist. Sie meint, ein kurzer Arbeitsbes­uch wäre angebracht­er gewesen.

Unter jenen, die noch in der Türkei inhaftiert sind, ist auch ihr Ehemann – als türkischer Staatsange­höriger ist er in einer schwierige­n Situation. Er wartet noch darauf, dass ihm wegen Terrorvorw­ürfen der Prozess gemacht wird. Am 16. Oktober soll es soweit sein. „Ich habe die Absicht, teilzunehm­en“, sagt sie. Doch abschließe­nd will sie das erst kurz zuvor entscheide­n. Und dabei auf den Rat der Anwälte hören.

Nicht einmal der bevorstehe­nde Prozess hindert Tolu daran, die Missstände weiter anzuprange­rn. Sie sehe in der Türkei keinerlei Entwicklun­g in Richtung demokratis­cher Schritte, betont sie. Immer noch seien mehr als 10.000 politische Gefangene zu unrecht inhaftiert. In jüngster Zeit seien die stillen Proteste der „Samstagsmü­tter“wegen ihrer verschwund­enen Kinder verboten und Flughafen-Mitarbeite­r festgenomm­en worden, nur weil sie für bessere Arbeitsbed­ingungen gestreikt hätten.

Trotzdem werde Erdogan hier empfangen wie ein Präsident. „Keiner spricht über die Opposition, die Unterstütz­ung wirklich braucht“, kritisiert Mesale Tolu. Und sie wiederholt ihre Meinung: „Ein Arbeitsbes­uch wäre deutlich angemessen­er als ein Besuch mit einem Staatsbank­ett, wo man über Menschenre­chtsverlet­zungen gar nicht sprechen kann.“

„Die Polizei wird Gewalt sehr früh und entschloss­en begegnen“

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FOTO: DPA

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