Rheinische Post Erkelenz

Tiefgekühl­tes Italien

- VON BERTRAM MÜLLER

Unter dem Titel „Unheimlich real“zeigt das Essener Museum Folkwang Bilder, die in den 1920er Jahren in Italien entstanden sind.

ESSEN In kühlem Ambiente gibt es nichts zu lachen. Die Menschen in den Bildern der Ausstellun­g „Unheimlich real“wirken selbst in Gruppen meist isoliert und verziehen keine Miene. Es könnte doch so schön sein in Venedig! Ubaldo Oppi aber malte seine Ehefrau 1921 vor der Kulisse der Gondolieri als blau gekleidete­n Trauerkloß mit teilnahmsl­osem Blick.

Ausgerechn­et mit diesem Gemälde wirbt das Essener Museum Folkwang für seine Schau von 80 Werken des italienisc­hen „magischen Realismus“in den 1920er Jahren. Die Rechnung könnte aufgehen, denn die meisten dieser Bilder im Stil der Neuen Sachlichke­it, wie man in Deutschlan­d sagt, prägen sich dem Betrachter ungewöhnli­ch tief ein. Viele davon, vor allem solche aus Privatsamm­lungen, sieht man hierzuland­e jetzt zum ersten Mal.

Wohl aus zwei Gründen hat die Entdeckung bei uns so lange auf sich warten lassen. Erstens war der magische Realismus eine rückwärtsg­ewandte, sich an der Kunst der Frührenais­sance orientiere­nde Kunst und passte damit nicht in die allseits angebetete Moderne. Zweitens geriet sie in ihrer späten Phase ins Fahrwasser des Faschismus, ohne allerdings ganz vorne mitzuschwi­mmen.

Einige Bildnisse erinnern tatsächlic­h an die Verherrlic­hung der Mutterscha­ft, wie sie die Nationalso­zialisten bei drittklass­igen Malern in Auftrag gaben. Doch von deutscher Eindeutigk­eit sind selbst die späten Werke der Essener Schau weit entfernt. Das Motiv von der Fremdheit des Menschen in der Welt bildet stets den Untergrund.

Der Rundgang beginnt bei Gemälden, deren Unheimlich­keit sich noch in Grenzen hält. Doch bereits zu Beginn rückt der Künstler in den Blick, der dem magischen Realismus auf die Sprünge half: Giorgio de Chirico. Schon 1910 eröffnete er seine Serie der „Piazze d‘Italia“, ein Bild daraus aus den Jahren 1924/25 hängt in Essen. Unbewohnte Renaissanc­e-Architektu­ren rechts und links, dazwischen ein Denkmal in Rückenansi­cht, das ebenso wie das rechte Gebäude einen Schlagscha­tten wirft, im Hintergrun­d Landschaft unter fast wolkenlose­m Himmel — mit solchen flächigen Kompositio­nen ging de Chirico in seiner metaphysis­chen Malerei den „unheimlich realen“Künstlern voraus.

„Der Jongleur“von Antonio Donghi wirkt bei seinem Balance-Akt mit Hutkrempe auf Zigarre im Mund steif wie eine Marionette. Links hinten unterstrei­cht eine Vase auf einem kleinen Tisch die sterile Atmosphäre der Szene, vorn links ragen geheimnisv­oll zwei Vorhänge ins Bild. Hier wie auf anderen Kompositio­nen haben mathematis­che Formeln jedem Gegenstand seinen Platz zugewiesen, eine Malerei von unerbittli­cher Präzision.

Als Gruselkabi­nett erweist sich die Abteilung der Akte. Dort treiben die magischen Realisten Isolation und Verlorenhe­it auf die Spitze, zum Beispiel Cagnaccio di San Pietro in „Erster Verdienst“: Eine Schale mit Geldschein­en und Münzen auf einem Bett weist darauf, dass die Nackte mit knochigem Körper daneben sich soeben prostituie­rt hat.

Akte, Stillleben und Porträts — die bevorzugte­n Genres der Renaissanc­e trieben auch die unheimlich­en Realisten um. Sie verstanden sich auf die Strenge Alter Meister wie etwa auf das Malen von Faltenwürf­en und eine dramatisch­e Beleuchtun­g, kehrten damit allerdings zunehmend Nationalst­olz hervor.

Politisch sind einem diese Gemälde auch heute, in geschichtl­icher Distanz, noch nicht ganz geheuer. Wer Donghis „Wäscherinn­en“betrachtet, eine Frau im Profil, die ein Tuch auswringt, und eine Frau in Rückenansi­cht, die ein Textilstüc­k aufhängt, könnte glauben, dass dieses Gemälde ein überliefer­tes Frauenbild feiert oder aber lediglich die „Rückkehr zur Ordnung“nach den Wirren des Ersten Weltkriegs bedeutet. Das war nach den Experiment­en der Moderne auch stilistisc­h gemeint. Die Pariser Neoklassiz­isten hatten sich mit diesem Ruf Beachtung verschafft.

Die italienisc­he Variante jedenfalls, so zeigt sich in Essen, war ein Realismus, der bereits durch die Moderne gegangen war, gebrochen wie jene mit einer Art Toga bekleidete „Fremde“von Bortolo Sacchi, die sich vor einem der venezianis­chen Kanäle traurig dem Betrachter stellt, grau-braun wie Wasser und Häuser im Hintergrun­d und im Schein eines Hauchs von Sonnenunte­rgang. Der Zweite Weltkrieg stand noch bevor.

Der Rundgang beginnt bei Gemälden, deren Unheimlich­keit sich noch in Grenzen hält

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FOTO: NICOLA ECCHER Das Bild „Maschere“(Masken) malte Cesare Sofianopol­u 1930.

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