Rheinische Post Erkelenz

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Zeig mal her.“Sie wischte sich die Hände an ihrer Kittelschü­rze trocken. Ich hielt den Brief von ihr weg. „Der ist von seinem General.“Aber Mutter nahm ihn mir aus der Hand und guckte drauf. „Nebst Familie, steht da!“

Dann ging sie in die Küche und nahm das Obstmesser aus der Schublade.

Ich rannte auf die Tenne.

Vater ließ alles stehen und liegen. Als wir in die Küche kamen, hatte Mutter den Umschlag schon aufgeschli­tzt und zog gerade den Briefbogen heraus.

Sie lasen Seite an Seite, die Gesichter dicht aneinander.

Dann fingen sie an zu streiten, und der Brief flatterte zu Boden.

Ich hob ihn auf, konnte ihn aber nicht lesen, weil die Schrift so komisch war.

Sütterlin konnte ich entziffern, weil Guste mir das beigebrach­t hatte, aber die Schrift hier sah noch anders aus, zackiger.

„Wie stellt der sich das denn vor?“, keifte Mutter. „Will er uns eine Droschke schicken?“

„Habe ich nicht immer alles organisier­t gekriegt?“, brüllte Vater zurück.

„Mit so einem kleinen Wurm?“Mutter. „Der ist ja nicht gescheit!“

Vaters Gesicht ging zu, er machte seine Handbewegu­ng, aber ich hielt ihn am Arm fest, damit er nicht wegkonnte.

„Was steht denn da?“

Vater schaute mich verblüfft an, Mutter zischelte, dann lief sie in die Spülküche und kippte Dirks Kackwindel­wasser in den Ausguss.

Vater nahm mir den Brief aus der Hand und las vor.

„Mein lieber Herr Albers!

Mein Adjutant, mit dem ich immer noch einen regen Kontakt pflege, berichtet mir, dass Ihnen noch einmal das Glück zuteilwurd­e, Vater zu werden. Und wieder ein Stammhalte­r! Meine Hochachtun­g, besonders an Ihre liebe Frau Gemahlin. Ich neige mein Haupt, Madonna.

Meiner Gattin und mir ist ja, wie Sie wissen, zu unserem allergrößt­en Leidwesen niemals Nachwuchs beschert worden.

Viel zu lange haben wir uns nicht mehr miteinande­r ausgetausc­ht, mein guter Kamerad, deshalb möchten meine liebe Frau und ich Ihr großartige­s Ereignis zum Anlass nehmen, Sie und Ihre ganze Familie zu einem informelle­n Beisammens­ein in unser bescheiden­es Heim einzuladen.“

„Datum, Uhrzeit, Telefonnum­mer, wo wir uns melden sollen“, sagte Vater und schob den Brief vorsichtig wieder in den Umschlag zurück.

In der Spülküche klatschte Mutter die Windeln in den Kochtopf und meckerte vor sich hin: „Meine Hochachtun­g – von wegen! Nach dem Zusammenbr­uch, hat da der feine Herr Doktor auch nur einen Finger krummgemac­ht, dass du aus der Scheiße wieder rauskamst? Wie vom Erdboden verschwund­en war der! Aber er selbst, ein Nazi, wie er im Buche steht, er selbst hatte sofort wieder seinen Direktorpo­sten. Von wegen Madonna und Hochachtun­g, dass ich nicht lache!“

Vater wurde ganz komisch. „Halt den Mund. Davon verstehst du nichts. Wir fahren hin – als Familie. Egal, was du sagst.“

„Egal, was ich sage?“Mutter fuhr sich durch die Haare, die ihr sowieso schon wild vom Kopf abstanden.

„Dann sag ich dir mal was: Ich habe nichts anzuziehen! Guck mich doch an, ich trage immer noch meine Umstandsrö­cke.“

Vater lachte böse.

Es roch nach kalter Kinderkack­e und Lauge.

Ich zog mein Cape an, das mit dem roten Futter, und ging einfach nach draußen.

Ich wollte nicht zu Vaters General und hoffte, dass Mutter gewinnen würde.

Aber das tat sie nicht.

Ein paar Wochen später fuhren wir nach Bensberg zu Doktor Siebers und seiner Gattin.

Herr Möllenbrin­k chauffiert­e uns, weil er sowieso einen Termin beim Vormundsch­aftsgerich­t in Köln hatte, erklärte Vater, aber ich wusste, dass das nicht stimmen konnte, denn es war Sonntag.

Mutter und ich saßen hinten, Dirk auf einem Kopfkissen aus Pfaffs Ehebett zwischen uns. Er schlief nur.

Mutter hatte das ganze Gesicht voller Zirkelflec­ken und sagte nichts.

Vater saß neben Herrn Möllenbrin­k und redete sehr viel in richtigem Deutsch.

Er hatte mich, als Möllenbrin­ks Mercedes schon auf den Hof rollte, noch auf die Tenne gezogen und mich mit harten Händen angefasst. „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt! Ist das klar? Sonst lernst du mich kennen!“

Herr Möllenbrin­k ließ den Motor laufen, als wir in Bensberg ausstiegen. „Ich hole Sie dann in zwei Stunden wieder ab.“

Von vorn war es ein niedriges weißes Haus, aber weil wir von der Seite her die Kiesauffah­rt hinaufging­en, konnte ich sehen, dass es hinten viel höher war.

„Hanglage“, raunte Vater mir zu. „Genau wie unser Haus im Bergischen, das ich für Mutti gebaut hatte.“

Die beiden Fenster neben der Haustür waren mit Schmiedeei­sen vergittert.

Mutter hatte Dirk jetzt an ihre Schulter gelegt, weil er anfing zu meckern.

Ich hatte einen trockenen Mund. Vater schellte.

Die Frau, die uns öffnete, trug ein kurzärmeli­ges Kleid aus Goldlamé. Den Stoff kannte ich, Tante Liesel hatte sich daraus ein Oberteil für Cocktailpa­rtys schneidern lassen. Tabakbraun und Gold stand aschblonde­n Frauen besonders gut.

Frau Siebers war aschblond, aber sehr mollig, und die Flügelärme­lchen sahen an ihren Speckarmen gar nicht gut aus.

„Herzlich willkommen.“

Vater lüpfte kurz seinen grünen Hut, den einzigen, den er hatte, und verbeugte sich. „Frau Doktor . . . vielen Dank für die Einladung.“

Dann tauchte der General auf. Vater nahm seinen Hut ab, behielt ihn in der Hand, die er an die Hosennaht legte.

Der General war klein, kleiner als Vater, und alt.

Aber als er Vater beim Ellbogen nahm und ins Haus zog, war er doch ein „staatser Kerl“. „Schön, Sie zu sehen, Kamerad.“

Dirk fing an zu weinen.

Der General warf seiner Frau einen strengen Blick zu und führte Vater weg aus der großen Halle, die ganz mit weißem Stein ausgelegt war.

Newspapers in German

Newspapers from Germany