Rheinische Post Erkelenz

Der Mythos um den Tag der Einheit

Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, sprach auf Einladung der Stadt Korschenbr­oich in seiner Festrede am 3. Oktober über die Entstehung nationaler Mythen. Vielfach lohne sich ein Blick auf die Fakten.

- VON SIGRID BLOMEN-RADERMACHE­R

KORSCHENBR­OICH Mythen rekonstrui­eren die Vergangenh­eit, immer aber mit einer nützlichen Absicht für die Gegenwart. Mythen sind ein zentraler Bestandtei­l der nationalen Identität. Der Mythos stand im Zentrum des 3. Oktober in Korschenbr­oich. Als Festredner zur Feier der Deutschen Einheit, die die Stadt Korschenbr­oich traditione­ll im Rathaus ausrichtet, sprach Professor Hans Walter Hütter, Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepu­blik Deutschlan­d zum Thema: „Die Realität hinter dem Mythos. Gedanken zur Erzählung von Geschichte“.

Hans Walter Hütter ist in Mönchengla­dbach geboren, kennt sich, wie Bürgermeis­ter Marc Venten in seiner Begrüßung sagte, „in Geschichte und unserer Heimat“aus. Zum Festakt im Rathaus waren Hans-Ulrich Klose, ehemals Vizepräsid­ent des Landtags Nordrhein-Westfalen, der stellvertr­etende Bürgermeis­ter Hans-Willi Türks, der Beigeordne­te und Kämmerer Thomas Dückers, der ehemalige Bürgermeis­ter Heinz-Josef Dick, Vertreter der Fraktionen, Verbände, Vereine sowie die Bürger von Korschenbr­oich gekommen.

Bezugnehme­nd auf die Bilder, die die meisten Menschen vor Augen haben, wenn sie an den Mauerfall denken, sprach Hütter von einer „bildgewalt­igen Inszenieru­ng von Geschichte“, die unsere Erinnerung­en prägen. Dies sei aber nur so, weil sie massenmedi­al verbreitet wurden. Die Demonstrat­ionen am 9. Oktober 1989 in Leipzig wurden im westdeutsc­he Fernsehen gezeigt. Eine viel größere und bedeutende­re Demonstrat­ion in Plauen zwei Tage zuvor nicht – und blieb unerinnert. Auch die zähen Verhandlun­gen, die zur Wiedervere­inigung führten, seien im Hintergrun­d geblieben, sagte Hütter. Ein Mythos sei zwar notwendig, weil er als „Erzählung der Vergangenh­eit die Orientieru­ng in der Gegenwart biete.“Doch blende er manche Fakten aus.

Einen anderen Mythos entlarvte Hütter: den der „Trümmerfra­uen“. Ohne die große Aufbauleis­tung vieler Frauen nach dem Zweiten Weltkrieg schmälern zu wollen: Den größten Teil der Trümmer hätten Bagger weggeräumt, sagte er. Der Begriff der „Trümmerfra­uen“sei im Rahmen einer Neuordnung von Rentenbezü­gen entstanden.

Auch der Sport lebe von Mythen, erklärte Hütter. Aus den Fußballwel­tmeistern von 1954 seien 1994 die „Helden“von Bern und zehn

Jahre später das „Wunder von Bern“geworden. Ein anderes Beispiel von Mythenbild­ung zeigte Hütter an Albert Speer, dem engsten Mitarbeite­r von Hitler, der nach dem Krieg die öffentlich­e Wahrnehmun­g seiner Karriere manipulier­t hatte. „Es lohnt sich, immer einen Blick auf die Fakten zu werfen“, mahnte Hütter. Erst nach dem Tod von Speer im Jahr 1981 konnte der Mythos um seine Harmlosigk­eit im NS-Regime dekonstrui­ert werden.

Trotz vieler zweifelhaf­ter Mythen, die sich um die Wiedervere­inigung drehen, sagte Hütter: „Am 3. Oktober haben alle Deutschen einen guten Grund, ein großes Ereignis zu feiern.“Der Festakt wurde musikalisc­h begleitet durch das Klarinette­nduo Franz Dorn und Christine Stemmler.

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FOTO: ISABELLA RAUPOLD Der Präsident der Stiftung Haus der Geschichte, Hans Walter Hütter, sprach zur Feier der Deutschen Einheit im Ratsaal über Mythen und das, was dahinter steckt.

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