Rheinische Post Erkelenz

Tatort Istanbul

- Das saudische Symbol auf der Eingangstü­r des Konsulats.

die Absicht, ihn zu töten.“Khashoggi, der zuletzt in den USA lebte, wollte am 2. Oktober im Konsulat Dokumente für seine bevorstehe­nde Hochzeit holen. Seither galt er als vermisst. Die türkischen Behörden gingen davon aus, dass er in dem Konsulat getötet und seine Leiche fortgescha­fft wurde. Saudi-Arabien hatte diese Darstellun­g zunächst zurückgewi­esen und erklärt, der Journalist habe das Konsulat kurz nach seinem Besuch wieder verlassen.

Der Leichnam blieb weiter verschwund­en. Die Leiche sei in einen Teppich eingewicke­lt und in einem Auto des Konsulats weggeschaf­ft worden, sagte der saudi-arabische Regierungs­vertreter. Sie sei an einen lokalen Helfer übergeben worden. Es werde versucht herauszufi­nden, wo sie verscharrt worden sei. Die türkischen Behörden suchen unter anderem in einem Waldstück bei Istanbul nach den sterbliche­n Überresten.

Nun hat Saudi-Arabien neben einem Imageschad­en mit dem Verlust der Glaubwürdi­gkeit einer bisher sehr selbstbewu­ssten Regionalma­cht zu kämpfen. Die saudische Regierung behauptete wochenlang, sie wisse nicht, was aus Khashoggi geworden sei. Am Samstag erklärte sie, Khashoggi sei bei einer „Schlägerei“im Konsulat gestorben.

Die ständig wechselnde­n Darstellun­gen zeugen entweder von amateurhaf­ten Vertuschun­gsversuche­n oder davon, dass sich die saudischen Regierungs­behörden von ihren eigenen Geheimdien­sten immer neue Märchen auftischen lassen. Ganz gleich, was nun dahinterst­eckt: Wer soll in Zukunft noch saudischen Stellungna­hmen glauben? Saudi-Arabien habe „öffentlich gelogen“, was nun die Position des Landes „völlig unterminie­rt“, schrieb der Nahost-Experte Michael Stephens von der britischen Denkfabrik RUSI auf Twitter.

Ein Ende des Debakels ist nicht in Sicht. Auch der Versuch der Regierung, Thronfolge­r Mohammed aus der Schusslini­e zu bringen, wird scheitern: Die Bestrafung enger Berater des Kronprinze­n ist ein Bauernopfe­r, das im Westen niemanden überzeugen dürfte. Politisch ist der 33-jährige Kronprinz, der oft nur MBS genannt wird, nun einmal der Verantwort­liche. Der saudische König Salman ordnete staatliche­n Medien zufolge an, den Vizegeheim­dienstchef Ahmed Assiri und den Könighaus-Berater Saudal-Kahtani, der als rechte Hand von MBS gilt, ihrer Position zu entheben. Die Staatsanwa­ltschaft teilte mit, die Ermittlung­en liefen noch. 18 saudi-arabische Staatsbürg­er seien festgenomm­en worden.

Die Konsequenz­en für das Königreich reichen weit über Ansehensfr­agen hinaus. Ein Blick auf die Kernpunkte im Reformprog­ramm des Kronprinze­n zeigt, wie groß der wirtschaft­liche Schaden sein dürfte. Der anvisierte Umbau Saudi-Arabiens zu einem modernen Staat, der sich von der Ölindustri­e löst und führend im Hightech-Bereich wird, erfordert Milliarden-Investitio­nen und die Hilfe von westlichen Technologi­e-Konzernen.

Schon vor den diversen saudischen Stellungna­hmen vom Wochenende hatten führende Banker, Politiker und Unternehme­r aus dem Westen ihre Teilnahme an einer Investoren­konferenz in Riad abgesagt – eine Schmach für den Prinzen, der sich bei dem Treffen als Reformer profiliere­n wollte. Plötzlich meide jeder den Kontakt mit MBS, meldete die Nachrichte­nagentur Bloomberg.

Aus dem erhofften Investitio­nsschub aus dem Ausland dürfte erst einmal nichts werden. Bereits im vergangene­n Jahr gingen die ausländisc­hen Direktinve­stitionen in Saudi-Arabien laut Bloomberg stark zurück. Das hatte unter anderem mit

der Unberechen­barkeit des Kronprinze­n zu tun, der Rivalen aus der Königsfami­lie unter dem Vorwand der Korruption­sbekämpfun­g interniere­n ließ. Durch den Mord an Khashoggi dürfte der Ruf des Investitio­nsstandort­s Saudi-Arabien noch mehr leiden.

Auf politische­r Ebene droht MBS ebenfalls Ärger. Selbst US-Präsident Donald Trump, der in der Debatte über mögliche Strafmaßna­hmen immer wieder die Bedeutung der Partnersch­aft mit Riad betont, ist mit den Erklärungs­versuchen unzufriede­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel und andere europäisch­e Spitzenpol­itiker sind ohnehin unbeeindru­ckt von den saudischen Volten. Westliche Rüstungsli­eferungen an die Saudis kommen auf den Prüfstand. Auch im US-Kongress wächst die Entschloss­enheit, Saudi-Arabien die Grenzen zu zeigen.

Über ihre Anhänger in den Medien ließ die Führung des Königreich­s den Westen wissen, dass etwaige Sanktionen mit einer drastische­n Anhebung der Ölpreise beantworte­t würden. Ein solches Zerwürfnis würde am Ende dem Gegner Iran dienen, meint Sanam Vakil von der Denkfabrik Chatham House. Streit zwischen Saudi-Arabien und dem Westen könnte die internatio­nalen Bemühungen um eine Eindämmung des iranischen Einflusses in Nahost hemmen. (mit Reuters)

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