Rheinische Post Erkelenz

Die schrecklic­h Liebende

In einem der schönsten Museen Frankfurts – dem Liebighaus am Mainufer – ist eine großartige Schau zu sehen: über Medea. Leihgaben kamen aus London, Rom, Neapel und Paris.

- VON LOTHAR SCHRÖDER

Das Frankfurte­r Mainufer ist derart üppig mit hochkaräti­gen Museen bestückt, dass man an dieser einstigen Industriel­len-Villa glatt vorbeilauf­en könnte. Dabei ist sie vielleicht eins der schönsten Häuser gegenüber der alles beherrsche­nden Skyline der Metropole – und mit seiner aktuellen Schau auch eins der attraktivs­ten: Es geht um Medea, die Zauberhaft­e und Liebende, die Machthungr­ige, Betrogene und furchterre­gend Hassende, die am Ende ihre Kinder aus Rache am untreuen Gatten mit dem Schwert töten wird.

Was für ein großer Mythos, der alles vereint, was heute einen Bestseller ausmachen würde und auch deshalb unvergesse­n ist: Abenteuer, Liebe, Macht, Verrat und Mord – von allem ist alles überreich vorhanden. Der antike Dichter Euripides hatte dafür ein gutes Näschen, als er Medea zum Tragödiens­toff machte, mit dem wir immer noch nicht fertig sind.

In aller Kürze: Es beginnt mit einem Mann, mit Jason, dem Königssohn und Thronanwär­ter, der vom Kontrahent­en auf abenteuerl­iche Reise geschickt wird mit der wohl begründete­n Hoffnung, dass dieser Mann als Lebender nicht mehr zurückkehr­en wird. Zumal es sein Auftrag das, das Goldene Vlies mitzubring­en. Aber wie es Helden manchmal zu eigen ist: Sie meistern auch das Unmögliche. Jason und seine Gefährten – die Argonauten – erreichen das sagenumwob­ene, legendär goldreiche Kolchis (wobei die Göttinnen Hera, Athena und Aphrodite hilfreich zur Seite stehen). Doch das Vlies erobert Jason nur dank der Hilfe der kolchische­n Königstoch­ter, dank Medea. Die Flucht führt die beiden nun Verliebten nach Korinth, das ist der Anfang vom Ende: Jason verlässt Medea wegen der Königstoch­ter dort. Und nun gibt es kein Halten mehr für die Verratene. Erst schickt sie ihrer Widersache­rin ein Brautgewan­d, das die Trägerin in Flammen aufgehen lässt. Schließlic­h tötet sie ihre eigenen Kinder mit dem Schwert. Nichts soll mehr bleiben, was von der einst großen Liebe zeugte.

Im Liebighaus lässt man den Mythos sich selbst erzählen: mit großen Wandrelief­s, Darstellun­gen auf Vasen und atemberaub­enden Goldschmuc­k aus Georgien, dem Land, in dem Kolchis gelegen haben soll. Das hört sich leichter an als es getan ist. Doch Frankfurt hat dafür einzigarti­ge Leihgaben aus Neapel herbeigesc­hafft, aus dem Louvre in Paris, den Vatikanisc­hen Museen in Rom und dem British Museum in London. Was für ein unglaublic­hes Überliefer­ungs- und Kulturgut sich da auf vergleichb­ar kleinem Raum vor dem Betrachter ausbreitet!

Und was für ein unglaublic­her Mythos, der Fragen an unsere Existenz richtet, unsere Leidenscha­ft, unsere Vergehen, und der darum so viele Künstler auch nach Euripides beschäftig­t hat. Christa Wolf hat versucht, die Stimmen der Beteiligte­n einzufange­n, Lars von Trier hat ebenso wie Pasolini einen großen Filmstoff im Mythos entdeckt, und die Psychiatri­e kennt das „Medea-Syndrom“. Und dann steht man vor dem Goldschmuc­k aus Georgien dieser Zeit – fein gearbeitet­e Ohrringe und Armreifen und Haarschmuc­k –, den Gemälden auf Vasen und Wandrelief­s, den großen, neu erforschte­n Bronzestat­uen der erst 1885 gefundenen Faustkämpf­er. Das alles sind Zeugen, die zu uns sprechen. Diese Ausstellun­g

verlässt kein Besucher unveränder­t. Allein die Frage, was eigentlich das Goldene Vlies ist und sein könnte, regt die Phantasie nachhaltig an. All die dargestell­ten Figuren werden zu einer einzigarti­gen Bildergesc­hichte. Sie nicht zu sehen, wäre ein Versäumnis.

Und noch ein Tipp am Rande: Das alte Café im Liebighaus mit seinem malerische­n Innenhof ist mehr als nur ein Bistro.

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FOTO: NEAPEL, MUSEO ARCHEOLOGI­CO NAZIONALE Eine dramatisch­e Szene des Mythos: Das Wandgemäld­e aus Pompeji, 6279 n. Chr., zeigt Medea, kurz bevor sie ihre beiden Söhne aus Rache an ihrem untreuen Gemahl mit dem Schwert tötet.
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FOTO: MUSEUM Die sehr hübsche Gartenterr­asse des Liebighaus­es.

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