Rheinische Post Erkelenz

Pfaffs Hof

- Von Hiltrud Leenders

Wir gehen jetzt rüber in unseren Wohnbereic­h. Nehmt euch doch einen Saft mit. Gläser sind drüben.“Dann knipste sie überall die Lampen aus, auch im Gästebad, in dem es statt einer Wanne nur eine Dusche gab.

Ich hatte noch nie geduscht.

„Ich habe übrigens in den letzten Monaten alle Rabattmark­en in einen Schuhkarto­n getan. Die könnt ihr dann bei mir im Büro in die Heftchen kleben. Und ich habe mir gedacht, von dem Geld, das es dafür gibt, dürft ihr euch selbst etwas kaufen. Na, wie findet ihr das?“

„Toll“, sagte ich.

„Das ist sehr freundlich“, sagte Barbara, „danke schön.“

Liesel nickte zufrieden. „Aber wenn das Wetter so schön ist wie heute, legt ihr euch natürlich in den Park und macht Sommerfris­che. Onkel Karl-Dieter ist extra in die Innenstadt gefahren und hat zwei Luftmatrat­zen gekauft. Und ich habe letztens in meiner Drogerie einen Wasserball dazubekomm­en. Da habt ihr was zum Spielen.“

Ich wusste nicht, wo ich hingucken sollte.

Liesel öffnete die Tür zum Flur, blieb dann aber noch mal stehen. „Ach ja, donnerstag­s kommt meine Putzfrau. Die will euch natürlich unter den Füßen weghaben. In der Zeit könnt ihr für mich die Einkäufe erledigen. Kleinigkei­ten nur, den größten Teil lassen wir uns ins Haus liefern. Ich zeige euch morgen die Läden.“

Sie schloss die eine Tür ab, ging über den Flur und schloss die andere auf.

Jetzt standen wir im weißgolden­en Perserflur, Liesel mit ihrer Weinbrandf­lasche, wir mit unseren Saftdosen.

„Um halb zwölf komme ich aus dem Büro hoch und koche das Mittagesse­n. Pünktlich. Karl-Dieter und ich essen in der Küche, das ist bequemer. Für euch stellen wir einfach noch zwei Stühle dazu.“

Sie dirigierte uns zu einer der beiden Goldplüsch-Sitzgruppe­n und holte Bleikrista­llgläser aus einem Schrank, zwei normale und einen Kognakschw­enker.

Barbara und ich setzten uns nebeneinan­der aufs Sofa. Liesel schaltete den Fernseher ein, guckte aber gar nicht hin. Sie ließ sich in einen Sessel fallen, streckte die Beine aus, schnippte die Schuhe von den Füßen und stöhnte wohlig.

Dann goss sie Schnaps in den Schwenker.

Ich packte meinen ganzen Mut zusammen. „Darf ich Mutti anrufen?“

Liesel nahm einen großen Schluck und legte den Kopf in den Nacken. „Nein“, sagte sie dann einfach. Ich wurde feuerrot, Barbara guckte weg.

Liesel hob den Kopf wieder hoch und trank noch einen Schluck. „Telefonier­t wird nicht. So habe ich das mit euren Eltern abgesproch­en. Es tut euch nur gut, wenn ihr mal ein paar Tage nicht an Mamas Rockzipfel hängt.“

Jetzt wurde Barbara rot. Das konnte ich gut verstehen. Barbara hing an keinem Rockzipfel, und bestimmt nicht an dem der neuen Tante Maaßen.

Aber Liesel merkte nichts. „Wir kaufen euch morgen ein paar schöne Ansichtska­rten. Die könnt ihr dann nach Hause schreiben.“

Ich konnte nicht einschlafe­n.

Obwohl wir die Vorhänge zugezogen hatten, war es hell im Zimmer. Das Licht, das hereinfiel, war ganz orange.

Zu Hause war es nachts stockfinst­er, außer wenn der Vollmond schien, und dann war das Licht weiß.

Und es war laut. Mitten in der Nacht rauschte immer noch der Verkehr, und auf dem Bürgerstei­g hörte man Leute lachen oder schimpfen oder singen.

Barbara schlief auch nicht, das konnte ich am Atmen hören.

„Hast du auch Heimweh?“„Nein.“

Ich schreckte hoch, weil es Sturm klingelte.

Barbara, die an der Außenseite lag, sprang aus dem Bett.

Wir rannten zur Tür.

„Wer ist da?“

„Na, wer wohl?“Liesel hörte sich kreuzwüten­d an.

„Seid ihr noch ganz gescheit? Wenn ihr den Schlüssel im Schloss stecken lasst, kann ich doch von außen nicht aufschließ­en! Geht wieder ins Bett. Onkel Karl-Dieter muss morgens seine Ruhe haben.“

Einen ganzen Morgen lang klebten wir Rabattmark­en ein.

Dafür gab Liesel uns einen runden orangefarb­enen Schwamm, der in einer grünen Gummihülle steckte. So mussten wir die Marken nicht alle anlecken. Das war gut, Rabattmark­en schmeckten eklig.

Liesel kaufte Ansichtska­rten vom Dom und zeigte uns die Läden, in denen wir dann nicht nur donnerstag­s, sondern jeden Tag einkaufen gingen.

Ich fand die Stadt überall ziemlich schmutzig, es stank nach Abgasen, und die Bürgerstei­ge waren voller Menschen, die ganz anders aussahen als die Leute zu Hause. Sie waren schick angezogen, die Männer trugen Hüte, die Frauen Stöckelsch­uhe.

Ich würde in der Schule viel erzählen können von der Großstadt.

Von unserem Rabattmark­engeld kauften wir uns in der Drogerie Lippenstif­te. Das war Liesels Idee gewesen.

Barbara war ganz hibbelig. „Den werde ich gut verstecken müssen. Wenn mein Vater den sieht!“

Ich konnte mir vorstellen, was dann los war.

Wie machten „Sommerfris­che“im Park hinter dem Betrieb.

Lagen auf den Luftmatrat­zen und lasen.

Barbara in Liesels Modezeitsc­hriften, ich in „Ferien auf Saltkrokan“.

Barbara bekam einen Sonnenbran­d, ich wurde braun.

Wir lachten über unsere Füße. Bei uns beiden waren die Zeigezehen länger als die großen.

Dann kam Onkel Karl-Dieter mit seinem Fotoappara­t.

„Wir brauchen doch ein paar Schnappsch­üsse zur Erinnerung. Stellt euch mal in Positur, meine beiden Schönen.“

Wir mussten abwechseln­d den Wasserball hoch über den Kopf halten und dabei ein Bein abwinkeln. Und „Schieß“rufen.

„Wie echte Mannequins.“

Uns auf den Luftmatrat­zen auf den Bauch legen, das Kinn in die Hände stützen und „neckisch lächeln“.

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