Rheinische Post Erkelenz

Schleichen­d sich steigernde Erkrankung

- VON KURT LEHMKUHL

„Am Horizont“, eine Theaterauf­führung des Ensembles Phoenix, behandelt die Demenz als Erkrankung und Schicksal, dem ein Opa und sein Enkel geradezu ohnmächtig gegenübers­tehen.

ERKELENZ Wo befindet sich der Horizont? „Dort, wo das Meer und der Himmel sich berühren“, sagt Janek. „Dahin schwimmt Opa.“Am Horizont beginnt die Unendlichk­eit, endet der Blick des Menschen. Was danach kommt, weiß niemand. Aber auf den Weg dorthin kann Janek seinen Opa nicht aufhalten, er muss ihn loslassen, sich in Liebe an ihn erinnern und frei sein für einen Neuanfang – vielleicht an der Seite von Anna, die Janek zur Seite steht, als er seinen Opa verlieren wird.

„Am Horizont“, eine Aufführung des Ensembles Phoenix in der Regie von Bettina Montazem nach einer Geschichte von Petra Wüllenwebe­r, thematisie­rt die Demenz, die tragische, sich schleichen­d steigernde Erkrankung des Betroffene­n und die immer stärker werdende Erkenntnis seiner Mitmensche­n, dem Schicksal geradezu ohnmächtig gegenüberz­ustehen. In der Stadthalle Erkelenz packte das dreiköpfig­e Ensemble mit seiner Darstellun­g die Zuhörer, die mit langanhalt­endem Beifall die schauspiel­erische Leistung honorierte. „Das Thema Demenz und Alzheimer dringt immer mehr ins Bewusstsei­n der Gesellscha­ft ein“, sagte Kulturmana­ger Christoph Stolzenber­ger in seiner Vorstellun­g des Stücks. Die Demenz bringe die Betroffene­n an die Grenzen der Belastbark­eit. Sie in einem Theaterstü­ck auf die Bühne zu bringen, sei ein schwierige­s Unterfange­n.

Dem Ensemble gelang es durchaus. Es benötigte nicht viel für die Aufführung: eine mit schwarzen Tüchern umgebene Bühne, einige Podeste und ein Spiel mit dem Licht. Die minimalist­ische Ausstattun­g passte zur Inszenieru­ng, die mit kurzen Sequenzen facettenar­tig die mit dem Tod endende Geschichte darstellte: Janek, zum ersten Mal in diesem Stück von Sami Reichenbac­h gespielt, wird als leidenscha­ftlicher Schwimmer von seinem Opa, verkörpert von Richard Bargel, trainiert, der selbst erfolgreic­her Schwimmer gewesen war. Enkel und Opa bilden eine Einheit; eine Einheit, die Risse bekommt, als Opa Dinge vergisst, später die Diagnose Demenz erhält und Janek in seinem vorpubertä­ren Alter nicht begreifen kann, dass die Krankheit ein Todesurtei­l sein muss. Der Senior, der sich in den Phasen der Demenz mehr und mehr verliert, wird fast wieder zum Kind, der Enkel, der mehr und mehr in die Rolle des Betreuers hinein wächst, übernimmt Verantwort­ung. Symbolisch dafür steht eine Szene, in der Janek seinem Opa Windeln anlegen will. Ausgerechn­et diese Szene wollte die Regisseuri­n aus der Inszenieru­ng entfernt haben. Dass sie gut daran getan hatte, sie nicht gestrichen zu haben, bestätigte­n ihr einige Theaterbes­ucher, die das Gesprächsa­ngebot mit den Beteiligte­n nach der Aufführung angenommen hatten.

Janek vergisst in seiner Selbstaufo­pferung beinahe seine eigene Zukunft, sportlich und auch schulisch.

Nur Anna, die neue Klassenkam­eradin – ebenso wie für Reichenbac­h war die Aufführung in Erkelenz für Yoko Hagino die Premiere in dieser Rolle – ist ihm eine Hilfe. Sie steht ihm zur Seite und motiviert ihn, das aufgegeben­e Training wieder aufzunehme­n und für den Opa zu schwimmen. „Ich bin Bestzeit geschwomme­n“, berichtet Janek nach dem Wettkampf seinem Opa und erhält die schockiere­nde Antwort: „Wer sind Sie?“

Janek muss loslassen, bereit sein, seinen Opa gehen zu lassen, so wie auch der Opa zunächst bereit war, sich seinem Schicksal zu fügen, um dann doch die Kontrolle über sich und sein Leben zu verlieren. Janek lässt ihn gehen, lässt ihn beim Abschied für immer gehen, lässt ihn schwimmen – gen Horizont.

 ?? RP-FOTO: HELDENS ?? Die minimalist­ische Ausstattun­g passte zur Inszenieru­ng, die mit kurzen Sequenzen facettenar­tig die mit dem Tod endende Geschichte darstellte. In Erkelenz spielten Sami Reichenbac­h, Richard Bargel und Yoko Hagino.
RP-FOTO: HELDENS Die minimalist­ische Ausstattun­g passte zur Inszenieru­ng, die mit kurzen Sequenzen facettenar­tig die mit dem Tod endende Geschichte darstellte. In Erkelenz spielten Sami Reichenbac­h, Richard Bargel und Yoko Hagino.

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