Grünes Gift: Monsanto wird Bayers Risiko
Die Glyphosat-Klagen lassen Bayers Aktie einbrechen und erhöhen die Übernahmegefahr. Doch Monsanto-Mitarbeiter und Farmer in St. Louis können die Aufregung nicht verstehen. Ein Besuch im Herzen Amerikas.
ST. LOUIS Eine Farm in Missouri: Riesige Felder ziehen sich entlang des Mississippi. Der Mais ist schon abgeerntet, jetzt stehen Sojabohnen an. Auch bei Mark Scott. Wir treffen den 53-Jährigen auf seiner Farm bei St. Louis, er trägt ein kariertes Hemd. An den Wänden seiner Scheune hängen Wild-Geweihe und Schildkröten-Panzer, alle selbst erlegt. Er sagt, er habe Trump gewählt und der Präsident mache einen guten Job. Wie seine Familie: „Mein Großvater hat die Farm gegründet, ich habe die Fläche verdoppelt.“Fast 700 Hektar bewirtschaftet er – mit Hilfe seines Sohnes und eines Arbeiters, mit Hilfe eines 250.000 Dollar teuren John-Deere-Mähdreschers und mit Hilfe von Monsanto.
Das Unternehmen aus St. Louis, das seit August zu Bayer gehört, ist Scotts größter Saatgut-Lieferant. Die Saat ist gentechnisch verändert und so behandelt, dass der Farmer keine Insektizide gegen tierische Plagegeister einsetzen muss. „Das ist doch gut für die Umwelt“, sagt Scott. Seine Ernte muss er verkaufen oder an Tiere verfüttern. Er darf sie nicht für eine neue Aussaat nutzen, das verbietet Monsanto. Der Farmer soll jedes Jahr neues Saatgut kaufen. Scott findet das okay. „So sind die Verträge, das machen alle so.“
Im Kampf gegen Unkraut setzt er seit Jahrzehnten auf Monsantos umstrittenes Pflanzengift Glyphosat. Einmal im Jahr für die Maisfelder, zweimal für Sojabohnen. Die Aufregung um Glyphosat versteht Scott nicht. „Warum ich Glyphosat benutze? Weil es funktioniert“, sagt er verwundert. Ansonsten müsste er das Unkraut aufwendig mit Maschinen beseitigen. Bayer hat Journalisten eingeladen, ihn und Monsanto-Forscher zu besuchen. Scott und seine Frau Susan sagen vieles, was dem Konzern gefällt. Von Dewayne Johnson haben sie natürlich gehört. Der Platzwart hatte Jahre lang Glyphosat an Schulen eingesetzt, ist unheilbar an Lymphdrüsen-Krebs erkrankt und erstritt Schadenersatz von 78 Millionen Dollar. Die Geschworenen hatten ihm zunächst 289 Millionen zugesprochen, die Richterin senkte die Summe, gab ihm in der Sache aber recht. „Ich habe keine Angst, dass Mark krank wird, er passt auf, wenn er Glyphosat benutzt“, sagt Susan Scott.
In dieser ersten von bislang 8700 Klagen gegen Monsanto geht es genau um diese Frage: Ist Glyphosat krebserregend? Und wenn ja: generell oder nur bei falschem Gebrauch? Bayer weist alle Vorwürfe zurück. „Wir halten dagegen, wir gehen durch alle Instanzen“, sagt Liam Condon, Chef von Bayers Agrochemie. Mehr als 800 wissenschaftliche Studien würden besagen, dass Glyphosat keine Krebsrisiken birgt. Dass die Weltgesundheitsorganisation das Pflanzengift 2015 als „wahrscheinlich krebserregend für den Menschen“eingestuft hat, zählt für Bayer nicht. „Eine Einzelmeinung“, sagt Chefideologe Jesus Madrazo. Auch die Bedenken des EU-Parlaments, das nur zögerlich die Zulassung verlängerte, wischt er vom Tisch. „Das ist nicht die Institution, die über Schädlichkeit eines Mittels wissenschaftlich entscheidet.“
Diese arrogante Haltung könnte Bayer teuer zu stehen kommen. Von Anfang an war Monsantos schlechter Ruf eine Bürde. Als im August die Geschworenen ihr Urteil verkündeten, brach die Bayer-Aktie um zehn Prozent ein. Die Aktie fiel unter 70 Euro. Vor drei Jahren war sie 144 Euro wert.
Hat Bayer die Risiken unterschätzt? Nein, sagt Konzern-Chef Werner Baumann in St. Louis. Als Bayer bei Monsanto endlich loslegen und in alle Unterlagen schauen durfte – „da haben wir nichts gefunden, was wir nicht schon wussten“. Allerdings will Bayer nun seine Erfahrung aus Pharma-Verfahren nutzen, weitere Anwälte wurden engagiert. Bayer steht vor einer langen Schlacht. Der Konzern geht im Streit mit Dewayne Johnson in die Berufung. Der Vorteil aus Sicht von Bayer: Beim Berufungsgericht entscheiden Richter, keine Geschworenen.
Doch neben Johnson gibt es weitere Einzelkläger, hinzu kommt in Kalifornien ein Massenverfahren (Mass-Tort-Litigation), in dem 600 Klagen gebündelt sind. Hier prüft der Richter die grundlegende Frage, ob die vorgebrachten Argumente stichhaltig sind, um einen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebserkrankung beweisen zu können. Urteilt er „ja“, gehen die Einzelfälle an die lokalen Gerichte.
Das US-Rechtssystem mit seiner Anwaltsindustrie macht es nicht leichter. „Massenverfahren sind ein Big Business“, sagt Mark Behrens. Der Anwalt vertritt den Konzern nicht bei Glyphosat, hat ihn aber in anderen Fragen beraten. Per TVSpots würden Kanzleien Tausende Fälle einsammeln. „Turn your pain into rain“, heißt es dort. Sinngemäß: Lass aus deinen Schmerzen einen warmen Regen werden. Bezahlt werden die Anwälte nur bei Erfolg, dann erhalten sie bis zu 50 Prozent des erstrittenen Schadenersatzes. „Die Anwälte sind auf schnelle Vergleiche aus“, so Behrens. Doch den Gefallen wird Bayer ihnen nicht tun. „Grundsätzlich macht es in einem Massenverfahren für den Beklagten Sinn, lange zu kämpfen. Frühe Vergleiche ermutigen nur weitere Leute, Klagen einzureichen“, sagt Behrens.
Bayer könnte Glyphosat vom Markt nehmen, doch dazu spielt das Herbizid eine zu zentrale Rolle. 40 Prozent des weltweiten Glyphosat-Marktes gehören Monsanto. Und Glyphosat ist eng mit Monsantos Saatgut verknüpft. Das wurde so gezüchtet, dass Insekten ihm nichts anhaben können, es aber auch überlebt, wenn das Feld mit dem Pflanzengift getränkt wird.
Entwickelt wird das Saatgut in Monsantos Forschungscampus in St. Louis. In dem hellen Gebäude arbeiten 1200 Wissenschaftler und Mitarbeiter. Das Dachgeschoss ist ein riesiges Gewächshaus, in dem Forscher immer neue Genpflanzen-Varianten bei simulierten Wetterlagen wie Regen, Dürre oder Kälte testen. Larry Gilbertson ist einer von ihnen. Mit Leidenschaft erklärt er, wie Forscher die DNA von Soja und Baumwolle zerschneiden und Gensequenzen austauschen. Bei elf Pflanzen ist genverändertes Saatgut in den USA zugelassen. Auch der 58-Jährige ist verwundert: „Ich kenne die Bedenken der Europäer, aber ich kann sie nicht verstehen.“Seit über hundert Jahren würden Züchter gute Pflanzen aussortieren und gezielt vermehren, durch den Eingriff in das Erbgut werde der Prozess nur beschleunigt.
Vor dem Forschungscampus steht ein Bayer-Schild, Mitarbeiter haben Mailadressen mit Bayer-Endung. Auf Dauer soll der Name Monsanto verschwinden. Doch auf vielen Schildern und in manchem Herzen ist noch viel Monsanto. „Schon mein Vater war bei Monsanto“, sagt einer der Mitarbeiter. Sie sehen sich als Helfer, um mehr Nahrungsmittel aus dem begrenzten Boden zu holen und so die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren.
Mit der Integration ist Bayer-Chef Baumann zufrieden, dünnhäutig wird er bei der Frage, ob mit dem Kurssturz die Gefahr einer feindlichen Übernahme wächst. Dabei hatte Bayer Monsanto auch übernommen, um sich vor einer Attacke eines anderen Pharmariesen zu schützen. Auf die Frage, ob Bayer sich nicht für eine Abwehrschlachte rüsten müsse, sagt Baumann: „Wir beschäftigen uns mit allen möglichen Szenarien, aber wir sind gut aufgestellt.“Das werde sich auch im Aktienkurs wieder zeigen.
Mit dem Optimismus ist er bei Mark Scott. Monsantos Vorzeige-Farmer ist zuversichtlich, dass der technische Fortschritt noch mehr aus seinen Böden holen kann. Seit neuestem setzt er das digitale Überwachungssystem „Field View“ein, auch von Monsanto. Eine App zeigt ihm etwa, wo er nachdüngen muss. Scott ist überzeugt: „Der Himmel kennt keine Grenzen.“