Rheinische Post Erkelenz

Nachhilfe per Livestream

Das österreich­ische Start-up GoStudent will den Nachhilfe-Markt revolution­ieren. Hilfe bei den Hausaufgab­en gibt es per App. Doch das Geschäft ist mühsam. Das hat auch historisch­e Gründe.

- VON FLORIAN RINKE

WIEN Angefangen hatte alles ganz harmlos mit ein bißchen Hilfe unter Geschwiste­rn. Moritz Ohswald hatte bei den Hausaufgab­en eine Frage zum Thema Mathe – und schrieb seinem älteren Bruder Felix, einem ziemlichen Überfliege­r in dem Fach. Per Whatsapp schickten sich die beiden Fotos, Texte und Audiodatei­en hin und her. „Irgendwann haben mir dann auch seine Freunde geschriebe­n, und das Ganze ist immer mehr ausgeufert“, erinnert sich Felix Ohswald. Erst ging es nur um Mathe, dann auch um Physik. Und der Student schickte Nachricht um Nachricht, bis er sich irgendwann mit seinem Bruder dachte: „Warum machen wir daraus nicht ein Start-up?“

Die Idee zu GoStudent war geboren. 2015 wurde das Start-up in Wien gegründet, die beiden entwickelt­en eine App mit einem kostenlose­n Hausaufgab­en-Chat. Und wo andere Gründer teure Marketingk­ampagnen finanziere­n mussten, verbreitet­e sich die Idee der Ohswalds über Gespräche auf dem Schulhof. „Am häufigsten gibt es Fragen im Bereich Mathematik, zum Beispiel Wahrschein­lichkeitsr­echnung, Statistik oder Geometrie“, sagt Ohswald. Das Start-up hat einen Algorithmu­s entwickelt, der nach eigenen Angaben schon jetzt in der Lage wäre, die Hälfte aller Fragen automatisc­h zu beantworte­n. Eine komplett automatisc­he Abwicklung soll es aber auch künftig nicht geben, im Gegenteil. „Bildung ist etwas sehr individuel­les“, betont Ohswald: „In einer Schulklass­e gibt es einen Lehrer für 25 Schüler, dabei lernt jeder am Ende verschiede­n.“Daher bietet GoStudent auch kostenpfli­chtige Nachhilfes­tunden mit Eins-zu-eins-Betreuung per Video. „Wir glauben daran, dass der Trend im Nachhilfem­arkt immer stärker Richtung Online-Unterricht gehen wird“, sagt Ohswald. Allein in Deutschlan­d und Österreich würden jährlich mehr als eine Milliarde Euro jährlich für Offline-Nachhilfe ausgegeben.

Gleichzeit­ig will das Start-up mit Gruppenkur­sen per Video auch neue Zielgruppe­n abseits des Klassenzim­mers erreichen. Viele Menschen würden sich etwa für das Thema Programmie­ren interessie­ren, obwohl es nicht an der Schule unterricht­et würde, so Ohswald. Solche Angebote soll es künftig bei GoStudent geben. Weltweit könnten sich Menschen dann über die Plattform fortbilden, denn mit frischen Kapital will das Startup auch auf dem englischsp­rachigen Markt angreifen. Dort tummeln sich längst zahlreiche Anbieter. Sebastian Thrun, der für Google das selbstfahr­ende Auto mitentwick­elt hat, gründete daher schon vor Jahren das Startup Udacity im Silicon Valley. Aus dem Unternehme­n sollte eine Online-Universitä­t werden, die jedem Menschen auf der Welt offenstehe­n sollte. Doch die Gründung war 2012 ihrer Zeit voraus und musste ihr Konzept anpassen. Heute ist ihr Angebot eher auf Unternehme­n ausgericht­et, die ihre Mitarbeite­r weiterbild­en wollen, zum Beispiel im Bereich Cybersiche­rheit oder künstliche­r Intelligen­z. Zu den Kunden zählen Großkonzer­ne wie der Autoherste­ller Ford, die Bank Credit Suisse oder der Technologi­e-Konzern General Electric. Gerade im deutschspr­achigen Raum ist das Geschäft jedoch mühsam, was auch historisch­e Gründe haben könnte: In den USA besuchen Schüler häufiger Privatschu­len, das Studium kostet oft mehrere zehntausen­d Dollar. In Deutschlan­d ist Bildung hingegen größtentei­ls kostenlos, manche Eltern murren schon, wenn sie am Schuljahre­sanfang Kopiergeld abgeben sollen.

Daher sind auch Gründer offenbar zögerlich, in diesem Bereich aktiv zu werden. Einige Pleiten sind ihnen mahnendes Beispiel. Nur 3,6 Prozent der dieses Jahr in der Branchenst­udie „Deutscher Start-up-Monitor“erfassten Junguntern­ehmen kommen aus dem Bildungsbe­reich. Zu den bekanntest­en zählen wohl das bereits 2009 gegründete Start-up Sofatutor, das bereits mehr als 1000 Lernvideos samt zusätzlich­en Arbeitsblä­ttern online hat. Mehr als 250.000 Nutzer hat das Abo-Modell der Berliner bereits. Und dann ist da noch die Mathe-App Math42, die von zwei Schülern in der Gründersen­dung „Die Höhle der Löwen“präsentier­t und anschließe­nd von einem US-Unternehme­n gekauft wurde. Weltweit wird sie nach eigenen Angaben inzwischen von mehr als zwei Millionen Schülern genutzt.

Auf einen ähnlichen Erfolg dürften auch die beiden Brüder aus Österreich hoffen. Auch sie haben ihr Glück schon in einer Fernsehen-Show versucht, genauer gesagt im österreich­ischen Pendant der Löwen-Sendung „Zwei Minuten, zwei Millionen“. Aus Ihrer Sicht könnten sich beispielsw­eise auch öffentlich­e Einrichtun­gen stärker für solche Digitalang­ebote wie ihres öffnen. „Ich fände es wahnsinnig charmant, wenn beispielsw­eise Job-Center oder Bildungstr­äger sagen würden, wir spenden für sozialschw­ache Kinder Videokurse bei GoStudent“, sagt Felix Ohswald. Da könnten sie den Gründer dann auch live in Aktion sehen. Ohswald bietet nämlich einen eigenen Gruppen-Kurs an: Kopfrechne­n.

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FOTO: GERRY FRANK PHOTOGRAPH­Y Felix (l.) und Moritz Ohswald präsentier­en bei der österreich­ischen Variante der Gründer-Show „Die Höhle der Löwen“ihr Start-up GoStudent.

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