Die Explosion am Siepensteg
Am 9. März 2008 schreckte ein gewaltiger Knall die halbe Stadt aus der Sonntagsruhe. Ein Haus wurde durch eine Detonation regelrecht zerfetzt. Ein Mann starb, weil ein 22-Jähriger aus Liebeskummer die Gastherme manipuliert hatte.
Die Explosion in Hermges an jenem Sonntagnachmittag löste eine gewaltige Druckwelle aus. Sie ließ Scherben wie Geschosse durch die Luft fliegen. Splitter durchschlugen die Scheiben von geparkten Autos. In den Nachbarhäusern knallten Fenster aus den Rahmen. Dächer wurden abgedeckt. In der kleinen Straße am Siepensteg sah es wie nach einem Bombenangriff aus. Die gesamte Rückfront eines Mehrfamilienhauses war eingestürzt.
Schnell war klar: Unter den
Trümmern liegen Menschen.
Aber gibt es noch
Überlebende?
Eine fieberhafte Suche begann, bei der sich die
Rettungskräfte in dem einsturzgefährdeten Gemäuerresten selbst in Lebensgefahr brachten. Die traurige Bilanz am Ende der Bergungsarbeiten: Ein Mann starb, 15 Menschen wurden verletzt, darunter zwei, damals 17 und 22 Jahre alt, lebensgefährlich. Der Sachschaden wurde später auf 1,3 Millionen Euro geschätzt.
Was zu diesem Zeitpunkt nur einer wusste, nämlich der Täter selbst: Die Gasexplosion war kein Unglück, kein technischer Defekt und auch kein Terroranschlag. Ein 22-jähriger Bewohner des Hauses hatte die Detonation herbeigeführt. Aus Liebeskummer hatte er die Gastherme manipuliert und nichts gesagt, als seine 17-jährige Freundin sich eine Zigarette ansteckte.
Ihm November 2008 begann der Prozess: Der 22-Jährige musste sich wegen „Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln und Mordversuches aus Heimtücke“vor dem Schwurgericht des Mönchengladbacher Landgerichts verantworten. Knallrot im Gesicht und immer wieder weinend lauschte der Angeklagte den Aussagen seiner Freundin, die sich von ihm getrennt hatte. „Am Anfang war alles wunderbar“, berichtete sie. Später habe sie sich jedoch vernachlässigt gefühlt. Dann habe sie einen Bekannten (24) des Angeklagten kennengelernt, der am Abend vor der Tat Gast in der Wohnung des wenig später völlig zerstörten Hauses am Siepensteg gewesen sei. Man habe zu dritt gespielt und Alkohol getrunken. Als der Gast zum Schlafen bleiben sollte, sei der Freund wütend und offenbar eifersüchtig ins Badezimmer gegangen, so die mittlerweile 18-Jährige in ihrer Aussage.
Anschließend habe der Angeklagte zum ersten Mal versucht, die Gastherme zu öffnen. „Wenn du dich umbringen willst, mach’ das, wenn wir weg sind“, habe sie zu ihm gesagt und danach mit dem Gast die Wohnung verlassen. Zuvor habe sie dem verzweifelten Freund noch ins Gesicht gesagt: „Ich habe keinen Bock mehr.“
Am nächsten Tag kehrte sie zurück in die Wohnung am Siepensteg, um ihre Sachen abzuholen. Dann steckte sie sich eine Zigarette an – mit verhängnisvollen Folgen. Bei der anschließenden Explosion wurde die junge Frau verschüttet. Der Angeklagte habe ihr geholfen, sich daraus zu befreien, erinnerte die 18-Jährige sich vor Gericht. Er habe sie gefragt, ob sie ihn noch lieben würde, und er habe gesagt, dass sie ihn nicht verraten soll.
Die damals 17-Jährige erlitt schwere Brandverletzungen, musste operiert werden, lag im Koma. Der von Anfang an geständige Angeklagte zeigte im Prozess immer wieder Reue. Zusammengesunken hinter seinem Verteidiger brach er immer wieder in verzweifeltes Weinen aus. Die junge Frau, seine Ex-Freundin, „es war damals Liebe auf den ersten Blick“, hatte er im Gerichtssaal gesagt. Ein Gutachter hatte den intelligenten Mechatroniker als strafrechtlich voll verantwortlich bezeichnet. Der Staatsanwalt forderte für den Angeklagten eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das Schwurgericht schloss sich dem an.
Zweimal wurde der Prozess neu aufgerollt, zweimal war Revision eingelegt worden, zweimal hatte der Bundesgerichtshof das gefällte Urteil aufgehoben. Doch auch bei der dritten Auflage sollte sich nichts für den Angeklagten ändern. Der Spruch der Düsseldorfer Richter lautete erneut: lebenslange Haftstrafe.