Rheinische Post Erkelenz

Das Blut wird nie trocknen

- VON ALBERT DAMBLON DER AUTOR IST IST KATHOLISCH­ER SEELSORGER IN ST. BENEDIKT.

Ein in den letzten Wochen häufig zitiertes Wort ist Vogelschis­s. Ich bin bisher erst einmal in meinem Leben von einem Vogel beschissen worden. Es war am Trevi-Brunnen in Rom, als es plötzlich Plopp auf meinem Hemd machte. Die Mitreisend­en machten mich auf den Vogelschis­s aufmerksam. Ich nahm es mit Humor, und wir lachten über die Freundlich­keit römischer Vögel. Wahrschein­lich war der Schuldige die Taube des Heiligen Geistes, der angeblich noch nie in Rom gewesen ist. Im Hotel angekommen waren die getrocknet­en Rückstände leicht zu entfernen. Erst einmal kräftig ausbürsten, dann mit ein wenig Salzwasser abwischen und anschließe­nd das Hemd in die Wäsche tun.

Blutflecke­n halten sich dagegen hartnäckig. Wer sich beim Kartoffels­chälen geschnitte­n hat weiß, dass Blut kaum zu entfernen ist. Nur mit viel Mühe und einigen Kniffen ist es aus den Kleidern zu bekommen. Blut zwingt, sich an die Verletzung zu erinnern. Es mahnt, vorsichtig mit scharfen Messern umzugehen. Heute denken wir an die Reichspogr­omnacht vor 80 Jahren. Damals zeigte sich die brutale Gewalt, mit der die Nationalso­zialisten gegen die jüdischen Mitbürger vorgingen. 1945, sieben Jahre später, zählte man sechs Millionen Opfer. Daneben mussten tausende Homosexuel­le, Sinti und Roma ihr Leben lassen. Wenn ich an die Zahl der Opfer denke, stehe ich heute vor einem Blutflecke­n. Dabei verharmlos­t das Wort „Blutfleck“, es verkleiner­t sprachlich den Mord an Millionen. Denn es ist ein riesiges Blutbad, das zwölf Jahre deutscher Geschichte angerichte­t haben. Letztlich versagt die Sprache, um sich den Ermordeten zu nähern. Was ich jetzt in guter Absicht schreibe, wird niemals ihrem vergossene­n Blut gerecht. Zerstörte Leben sind nicht wiedergutz­umachen. Das Blutbad der zwölf Jahre wird nie austrockne­n.

„Nie wieder schweigen“, damit heute kein Mensch verbluten muss. Das Motto der Gedenkvera­nstaltunge­n schaut in die Zukunft, aber es verlangt genauso, immer wieder von den Opfern der zwölf Jahre zu sprechen, so behutsam und verantwort­ungsvoll, dass das schrecklic­he Blutbad nicht zu einem Vogelschis­s herunter geredet wird, wie es ein deutscher Politiker jüngst getan hat.

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ARCHIVFOTO: BAUM Stolperste­ine des Künstlers Gunter Demnig erinnern an die Opfer des Holocausts und der Reichspogr­omnacht vor 80 Jahren.

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