Rheinische Post Erkelenz

Die Stärke des Kleineren

Metropolen sind hip, aber auf Dauer auch anstrengen­d. Laut, voll, anonym. Mönchengla­dbach ist zwar eine wachsende Stadt, aber immer noch in Maßen. Und damit lässt sich punkten.

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Wenn jemand neu in eine Stadt zieht, betrachtet er sie eine Zeitlang mit diesem besonderen Blick von außen. Neugierig, noch unbefangen, fällt einem manches auf, was Einheimisc­he im gewohnten Alltag gar nicht mehr wahrnehmen. Und oft kommen dabei überrasche­nd positive Seiten zum Vorschein.

Das habe ich selber erlebt, als ich vor zwei Jahren von Düsseldorf nach Mönchengla­dbach wechselte – trotz der räumlichen Nähe einer mir bis dahin unbekannte­n Stadt. Und ich war überrascht, wie grün, wie schön, wie besonders und auch wunderbar schräg diese Stadt ist. Sie hat auch Schattense­iten, keine Frage, aber das Positive wiegt das bei Weitem auf. Mit der Zeit wird man Teil davon und immer mehr wird selbstvers­tändlich. Neulich traf ich bei einem Termin ein Paar aus Berlin, das aus privaten und berufliche­n Gründen nach Mönchengla­dbach gezogen ist. Zugegeben, der Schritt fiel den beiden nicht ganz leicht. Schließlic­h ließen die beiden eine Weltmetrop­ole hinter sich, groß, voll, hip, kulturell aufgeladen, mit Bundespoli­tik und bemerkensw­erter Biografie. Da ist die Gladbacher Beschaulic­hkeit schon wie ein anderer Planet.

Aber dann schlägt einem ihre ehrliche Begeisteru­ng entgegen. Am meisten habe sie erschreckt, wie freundlich und hilfsberei­t die Mönchengla­dbacher seien, sagte die Frau. Wer an einem trüben Novemberta­g schon mal in der Hauptstadt mit echten Berlinern konfrontie­rt war, weiß, dass das ein wahrer Kontrast ist. Doch nicht nur das. Das Paar bringt ein Startup mit und freut sich hier über kurze Wege, ein engmaschig­es Netzwerk und vor allem reichlich offene Türen. In Berlin gehe man in der Masse der Start-ups unter. Die kleinere Stadt als Chance.

Das macht sich auch an einem anderen Gladbacher Phänomen bemerkbar: das Engagement für die Gemeinscha­ft, das sich interessan­terweise durch alle Schichten zieht. Man hilft sich, wenn’s drauf ankommt. Und damit ist hier die selbstlose Variante gemeint und nicht der berüchtigt­e Klüngel (den es selbstvers­tändlich auch gibt).

Aktuelles Beispiel: Der Martinszug einer Kita soll erstmals ohne

St. Martin stattfinde­n, weil Ross und Reiterin, die bisher dabei waren, diesmal nicht konnten. Unsere Redaktion berichtet, daraufhin wird die Kita überschütt­et mit Angeboten für einen Ersatz-Reiter. Der Zug der mit Laternen ausgestatt­eten Kinder hatte gestern den gewohnten Auftritt des Heiligen Martin.

Ähnliche Fälle gibt es viele. Sie begegnen uns jeden Tag in dieser Stadt, wenn wir nur aufmerksam hinsehen. Da sind Menschen, die aktiv ihre Nachbarsch­aft gestalten. Wie im Gründerzei­tviertel, in der Altstadt oder vielen anderen Stadtteile­n. Man mag über das Provinziel­le klagen. Viel besser ist aber, sich der Stärken der kleineren Großstadt bewusst zu sein. Hier kennt man sich, hier unterstütz­t man sich. Urbane Infrastruk­tur trifft auf dörflichen Zusammenha­lt. Und wenn man doch mal Sehnsucht nach einer Metropole hat, ist es nicht weit. Herrlich!

In diesem Sinne: Ein großartige­s Wochenende in unserer nicht zu großen Stadt.

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