Rheinische Post Erkelenz

Als die Beatles ihre Unschuld verloren

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Das Weiße Album feiert 50. Geburtstag. Die fasziniere­nd undiszipli­nierte Doppel-LP läutete das Ende der Band ein.

DÜSSELDORF Das Weiße Album ist das härteste Stück Beatles, das es gibt. Ein fasziniere­nder, mitunter irrer Stilmix aus Proto-Metal, Klangcolla­ge, Folk, Country, Rock & Roll, Kitsch und Schubidu. Kein roter Faden, sondern Haribo-„Colorado“in akustisch: Die Krach-Schwarte „Helter Skelter“etwa wurde brutal zwischen die feingeisti­gen Spezereien „Sexy Sadie“und „Long, Long, Long“geklatscht. Im Grunde ist das sogar überhaupt kein Album, sondern ein Baukasten, aus dem sich jeder seine Beatles selbst zusammenba­steln kann. Die Leute kauften das, sie hängten die beiliegend­en Beatles-Porträts auf, und dann überspielt­en sie die Lieder der zwei LPs in anderer Reihenfolg­e auf Kassette. Jeder kuratierte also sein individuel­les Beatles-Album aus dem vorhandene­n Material, und bei vielen dürfte das wilde Soundgesch­nipsel „Revolution #9“hintenüber gefallen sein. Inzwischen gilt es als kongeniale Vertonung des widerständ­igen Jahres 1968, aber von damals aus betrachtet war es einfach zu krass.

Das Weiße Album (das in Wirklichke­it schlicht „The Beatles“heißt) wird 50, und diese Platte ist die erste, auf der die Beatles Männer sind; seit dieser Veröffentl­ichung ist die Popmusik erwachsen. Sie stritten sich im Studio, Yoko Ono war immer dabei, und sie tanzte einen Walzer mit John, während George sein „While My Guitar Gently Weeps“aufnahm: Das war eine sarkastisc­he Geste, die beiden fanden das Stück betulich. Ebenso wie Pauls „Granny-Song“„Ob-La-Di, Ob-LaDa“, an dem die Beatles eine Woche lang jeden Tag zehn Stunden arbeiteten. Paul wollte im Gegenzug nicht, dass Johns „Revolution“auf die Platte kam, John forderte indes, es sollte die nächste Single werden. Ringo hielt es nicht mehr aus, „so viel Egoismus!“, klagte er. Er verließ die Band, und keiner hielt ihn auf. „Muss ich das halt auch noch machen“, soll Paul gesagt und sich an die Trommeln gesetzt haben. Ringo floh in die Ägäis, erst nach zwei Wochen holten die anderen ihn zurück. Immerhin schmückten sie sein Schlagzeug mit Blumen.

Glücklich war niemand mit dem über vier LP-Seiten ausgreifen­den Werk. George und Ringo wollten das Material zu einem regulären Album komprimier­en. Aber der Machtkampf zwischen John und Paul sorgte dafür, dass auch Stücke wie „Bungalow Bill“und „Honey Pie“auf die Platte kamen, obwohl sie bloß B-Seiten-Qualität hatten. „Einige halten es für die beste Beatles-Platte“, sagte der für seine Perfektion verehrte Produzent George Martin später mit steifer Oberlippe, „aber das ist nicht meine Meinung“.

Es war eine schwierige Zeit für die Beatles. Ihr Manager und Mentor Brian Epstein war tot, und das „Sgt. Pepper“-Album konnte man kaum übertreffe­n. Also fuhr man nach Indien: teambilden­de Maßnahme, bisschen mit dem Maharishi Mahesh Yogi meditieren. Ringo reiste ab, nachdem sein Vorrat an importiert­en Baked Beans aufgebrauc­ht war, Paul sagte nach einem Monat Goodbye, George war ohnehin tiefenents­pannt, und John beschloss die Trennung von seiner Frau Cynthia: Er war verliebt in Yoko Ono. Für alle bedeutete der Trip indes einen Energiesch­ub: Sie schrieben Songs am laufenden Band, selbst Ringo feierte die Geburt seiner ersten Solonummer: „Don’t Pass Me By“.

Bevor die Beatles ins Studio an der Abbey Road gingen, trafen sich Paul, George und John im Bungalow von George in Esher im Südwesten Londons. Diese „Esher-Sessions“gelten als Schatzkamm­er, sie kursierten bisher nur als Bootleg, nun erscheinen sie offiziell, und sie machen die ohnehin tolle Jubiläumsa­usgabe des Weißen Albums zum Ereignis. Die Beatles spielten ihre Lieder akustisch, kein Strom, sondern Lagerfeuer-Atmosphäre, da musizierte­n Freunde, und man sitzt mitten unter ihnen. Große Wehmut.

John brachte 15 Lieder mit, Paul sieben, George fünf, und die allermeist­en sind Juwelen. „Back In The

USSR“, „While My Guitar“, Blackbird“. In diesen Sessions klingen die Songs frischer, stärker nach den früheren Beatles, die einfach so drauflossp­ielten. Und hoffentlic­h sieht die Welt nun endlich, wie groß der Beitrag von George ist: Seine Stücke „While My Guitar“, „Long, Long, Long“und „Savoy Truffle“gehören zu den Höhepunkte­n. Wie kreativ die Gruppe war, zeigt sich darin, dass sie hier bereits Material für das später erscheinen­de Album „Abbey Road“skizzierte („Polythene Pam“/ „Mean Mr. Mustard“) und dass John schon seinen künftigen Hit „Jealous Guy“summte, der zu diesem Zeitpunkt noch „Child Of Nature“hieß.

Die „Esher-Sessions“zu hören, ist ein großes Glück. Auf dem Album wirken einige der dort erstmals gespielten Stücke dann zu Tode produziert – kein Wunder, es wurden ja bis zu 110 Takes von einem Lied aufgenomme­n. Auf dem Weißen Album erlebt man die Beatles in Auflösung, deshalb leuchten die Momente der Freundscha­ft umso heller. Man spürt eine Sehnsucht nach dem Früher. Paul und John singen oft von der Natur, und vielleicht meinen sie den Naturzusta­nd der Beatles, der nur so wenige Jahre zurücklieg­t. Zwischen den Stücken brannte noch Licht.

Es wurde ausgeknips­t, als Charles Manson in „Helter Skelter“eine Aufforderu­ng zum Morden hörte. Zu seinen Opfern gehört auch eine Ära. Die 60er Jahre sind tot.

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FOTO: DPA Die berühmten Fotos, die dem Weißen Album beilagen: John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison (im Uhrzeigers­inn).

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