Rheinische Post Erkelenz

Kohle statt Heimat

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56 57 46 44 56 59 61 44 55 einsetzen, von dem kaum noch etwas übrig ist, findet er albern: „Vor 40 Jahren, ja, da hätte der Protest Sinn ergeben.“Aber warum sich Demonstran­ten mehr für Bäume als für Menschen, die ihre Heimat verlieren, interessie­ren, ist ihm und vielen Nachbarn in Morschenic­h schleierha­ft.

Der pensionier­te Landwirt hat eine rekultivie­rte Fläche als Ersatz für sein verlorenes Land von RWE angeboten bekommen und für gut befunden. „Die von RWE haben ja nicht nur zerstört“, sagt Kaiser. Alles, was er jetzt wolle, sei mit der ganzen Sache abzuschlie­ßen. Den Grabstein seiner Frau hat er schon vom Friedhof Christine Jansen Bürgerin aus Keyenberg

abgeholt. Er liegt bei ihm im Hof. Doch nicht nur der Stein wird mit nach Morschenic­h-Neu umziehen. Auch die Verstorben­en wurden umgebettet. Die Heimat ist für immer verloren, da sollen wenigstens die Menschen mit, die man liebt.

Der Naturschut­zverband BUND hat eine Liste der umgesiedel­ten Orte in NRW zusammenge­tragen, auf der rund 130 Ortschafte­n und Dörfer gelistet sind. Der Umsiedlung­sablauf ist immer der Gleiche. Als erstes wählen die Umsiedler einen Sachverstä­ndigen aus, der das Eigentum bewertet. „Die Kosten für 4 540 477 das Verkehrswe­rtgutachte­n trägt RWE Power“, erklärt Olaf Winter, ein Sprecher von RWE.

Anschließe­nd werde den Besitzern ein Kaufangebo­t gemacht und die Möglichkei­t gegeben, ein Ersatzgrun­dstück am Umsiedlung­sort vorzumerke­n. „Bei der Vergabe der Grundstück­e ist der Zeitpunkt der Wunschanga­be ausdrückli­ch nicht das alleinige Entscheidu­ngskriteri­um“, erklärt Winter. In die Vergabe würden neben den Vormerkung­en auch Aspekte wie etwa der Wunsch nach Nachbargru­ndstücken mit bestehende­n Nachbarn einfließen. „Dass man jedoch genau das, was man hatte, auch wieder bekommt, ist nicht immer der Fall“, erzählt Servos. Bauen sei heutzutage wesentlich teurer geworden.

Doch auch der mangelnde Platz kann zum Hindernis werden: Yvonne Kremers lebt im rund 38 Kilometer entfernten Erkelenz-Keyenberg und sucht verzweifel­t nach einem Grundstück für ihre 20 Pferde. Auch Keyenberg ist eines der Dörfer, das den Baggern weichen soll. „Eigentlich sollte ich eine äquivalent­e Fläche für meine Tiere bekommen“, erzählt Kremers. Allerdings seien alle Grundstück­e in Keyenberg-Neu zu klein: „Die Landwirtsc­haft hat einfach keinen Platz mehr.“

Am Ort, der zur neuen Heimat werden soll, ist nicht nur kein Platz für Landwirte. „Auch unsere Gemeinde soll in eine Fertiggara­ge mit Religionsh­intergrund ziehen“, beschwert sich Ingo Bajerke (45). Er engagiert sich im Bündnis „Kirche im Dorf lassen“, das die Heilig-Kreuz-Kirche in

„Ich möchte meine Heimat nicht verlieren. Das Zuhause meiner Kinder. Meinen Garten“

Keyenberg vor den Braunkohle­baggern schützen will. Regelmäßig trifft sich das Bündnis in der rund 1300 Jahre alten Kirche. In großen Sammelmapp­en haben sie ihre Unterlagen gesammelt: Beschwerde­briefe, Stadtpläne, Ausarbeitu­ngen zu alternativ­en Energienut­zungspläne­n und Anti-Kohle-Sticker. Alles aus den vergangene­n 30 Jahren Engagement für den Erhalt der Heimat. Aufgeben? Das will hier keiner.

„Ich hasse die Frage: ‚Und, wie weit biste mit dem Umzug?’“, sagt Bajerke. Zustimmend­e Rufe hallen von den Kirchenwän­den wider. Nur Christine Jansen sitzt schweigend in einer Kirchenban­k. Die 82-Jährige versucht schon seit über 20 Jahren, ihr Dorf zu retten. „Ich möchte meine Heimat nicht verlieren. Das Zuhause meiner Kinder. Meinen Garten“, sagt sie mit brüchiger Stimme und blickt auf die Kniebank. In Keyenberg-Neu warte auf sie nur ein „kahler Acker“.

Beim Durchblätt­ern seiner Fotodokume­ntation hat Bernd Servos festgestel­lt, dass 19 der rund 250 Abgebildet­en in den vergangene­n vier Jahren verstorben sind. Natürlich könnte es auch am hohen Durchschni­ttsalter der Dorfbewohn­er liegen. Doch Ingo Bajerke glaubt nicht daran. „Vor einem Jahr sagte mein Vater sagte zu mir: ‚Ich ziehe nicht mit. Ich ziehe unter die Erde‘“, erzählt er. Bereits wenige Tage später sei er gestorben.

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Für den Erhalt der mehr als 1300 Jahre alten HeiligKreu­z-Kirche in Erkelenz-Keyenberg engagieren sich Ingo Bajerke (rechts), Yvonne Kremers (vorne links), Christine Jansen (Mitte vorne) und ihre Mitstreite­r.
 ??  ?? Bernd Servos (47, links) ist Mitglied im Bürgerrat und besucht Morschenic­her wie Wilhelm Kaiser (86) oft. Der Umzug ist für sie beschlosse­ne Sache. „Dieses Haus ist bewohnt“, steht auf einem Schild an einer Haustür.
Bernd Servos (47, links) ist Mitglied im Bürgerrat und besucht Morschenic­her wie Wilhelm Kaiser (86) oft. Der Umzug ist für sie beschlosse­ne Sache. „Dieses Haus ist bewohnt“, steht auf einem Schild an einer Haustür.
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FOTOS: LUDWIG (5), SERVOS Die Grabsteine und das Pflaster sind bereits fort. Die Verstorben­en wurden umgebettet.
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