Zwei Orte, ein Schicksal: MerzenichMorschenich und ErkelenzKeyenberg sind von den Umsiedlungen im Rheinischen Braunkohlerevier betroffen. Eine Geschichte über diejenigen, die ihre Heimat verlieren. Und dies völlig unterschiedlich bewerten.
MERZENICH Eines Tages werden die Bagger kommen. Das weiß Bernd Servos schon, seit er sieben Jahre alt ist. Heute ist er 47, und der Braunkohle-Bagger steht rund einen Kilometer Luftlinie entfernt. Servos ist deshalb oft mit seiner Kamera in den Straßen Morschenichs, einem Ortsteil der Gemeinde Merzenich, unterwegs – will alles festhalten: „Mein einjähriges Kind wird meine Heimat niemals kennenlernen“, sagt er und macht zur Sicherheit ein paar Fotos von dem Haus, in dem er einst lebte. Vor einigen Jahren hat er eine Dokumentation veröffentlicht – das Interesse war groß, die rund 480 Menschen, die einmal in Morschenich lebten, wollen eine Erinnerung. Inzwischen kehrt Servos in den Ort zurück, um den Verfall in Vorher-Nachher-Bildern festzuhalten.
Ein Geisterdorf, das ist Morschenich allerdings bei Weitem noch nicht: Die Kehrmaschine ächzt vorbei, der Postbote stellt Briefe zu, in der Tagesstätte johlen ein paar Kinder; es herrscht merkwürdige Normalität, wenn man bedenkt, dass bereits im kommenden Frühling die ersten Straßenzüge abgerissen werden sollen. „Dieses Haus ist bewohnt“, steht auf einem Zettel an einer Haustür – wie eine trotzige Erwiderung auf die vom Holz bereits abblätternde Farbe. Die meisten jedoch hätten sich inzwischen damit abgefunden umzuziehen, erzählt Servos, der selbst bereits in Morschenich-Neu lebt.
Servos ist einer von rund 44.000 Menschen, die durch den Rheinischen Tagebau ihre Heimat verlassen mussten oder noch müssen. Seit den 1950er Jahren wird dort in drei großen Tagebauen Braunkohle durch den Energiekonzern RWE erschlossen: Garzweiler (11.400 Hektar), Hambach (8500 Hektar) und Inden (4500 Hektar). Damit entsprechen die genehmigten Flächen rund 34.174 Fußballfeldern. Die dafür nötigen Umsiedlungen wurden 1974 im NRW-Landtag von einer Koalition zwischen SPD und FDP genehmigt. Dann – vor rund zwei Monaten – kamen die Proteste, bei denen 50.000 Menschen für den Erhalt des nahe gelegenen Hambacher Forstes demonstrierten. Und plötzlich ist da die Hoffnung, ob das alte Morschenich vielleicht doch bestehen bleiben könnte.
„Das geht doch nicht!“, poltert Wilhelm Kaiser und schlägt mit seiner Fliegenklatsche auf die abwaschbare Tischdecke. Der 86-Jährige hat Haus und Hof in Morschenich. Er wartet nur noch darauf, dass der neue Stall für sein Pferd in Morschenich-Neu fertig wird, dann will er weg. Dass sich jetzt, unweit von seiner Haustüre entfernt, Menschen für den Erhalt eines Waldes