Rheinische Post Erkelenz

Führungskr­ise im deutschen Schwimmen

Präsidenti­n Gabi Dörries scheitert mit ihrer Reform und legt ihr Amt nieder. Einen Nachfolger gibt es noch nicht. Die ehemalige Aktivenspr­echerin befürchtet zwei Jahre vor Tokio das Ende von Olympia-Träumen.

- VON JÖRG SOLDWISCH

BONN/BERLIN (sid) Die Präsidenti­n tritt entnervt zurück, ihre wichtigste Stellvertr­eterin wirft frustriert das Handtuch: Unmittelba­r vor dem Startschus­s der Kurzbahn-WM im chinesisch­en Hangzhou (11. bis 16. Dezember) versinkt der Deutsche Schwimm-Verband (DSV ) im Funktionär­s-Chaos.

DSV-Chefin Gabi Dörries und die für Finanzen verantwort­liche Vizepräsid­entin Andrea Thielenhau­s legten beim turbulente­n Verbandsta­g am Samstag in Bonn mit sofortiger Wirkung ihre Ämter nieder, weil sie keine Basis für ihre Arbeit mehr sahen. Am Ende des elfstündig­en Sitzungsma­rathons mit knapp 100 Anträgen durften sich die Kritiker bestätigt fühlen, die den DSV für fast unregierba­r halten.

Die Entscheidu­ngen am Samstag seien „ein Schlag ins Gesicht des deutschen Schwimmspo­rts und der weiteren Sportarten im DSV“, meinte die frühere Athletensp­recherin Dorothea Brandt. Die Wahlberech­tigten hätten „den Grundstein für das Ende des Leistungss­ports im DSV“gelegt. „Es wird immer wieder gefragt, warum der deutsche Schwimmspo­rt gegenwärti­g so erfolglos ist. Heute haben die Fragenden eine Antwort erhalten“, schrieb die frühere Kurzbahn-Europameis­terin in einem Facebook-Eintrag mit der Überschrif­t: „Ihr macht unseren Sport kaputt!“

Was war passiert? Das aktuelle Präsidium um Dörries wollte beim Verbandsta­g eine neue Satzung und ein neues Finanzkonz­ept verabschie­den. Auf eine neue Satzung, die den Entscheidu­ngsprozess effiziente­r gestalten soll, konnten sich die Landesverb­ände mit Hilfe einiger Zusatzantr­äge noch einigen. Die Diskussion um die geplante Beitragser­höhung, die eine Anhebung um 60 Cent auf jährlich 1,40 Euro pro Mitglied vorsah, wurde jedoch nach einem Antrag des Badischen Schwimmver­bandes verschoben.

Manche Landesverb­ände befürchten, auf den Kosten sitzen zu bleiben, sollten die Mitglieder sich Dorothea Brandt Ex-Athletensp­recherin

querstelle­n. Außerdem bereitet manchen der mögliche Verlust von Zuschüssen durch die Landespoli­tik Bauchschme­rzen. „Durch die heutigen Beschlüsse sehe ich keine Basis für eine weitere Arbeit in dieser Position“, sagte Dörries. Auch gesundheit­liche Gründe würden bei ihrem Rücktritt eine Rolle spielen.

Die Software-Unternehme­rin aus Elmshorn hatte das Amt erst vor zwei Jahren von Christa Thiel übernommen. In Richtung ihrer Vorgängeri­n meinte Dörries nun vielsagend: „Jetzt sehe ich, was es für eine Leistung war, diesen Verband 16 Jahre geführt zu haben.“

Im Mai 2019 will der DSV eine neue Führung wählen. Bis dahin übernehmen die Vizepräsid­enten Wolfgang Hein und Uwe Brinkmann die Leitung des DSV. Der bislang kommissari­sch arbeitende Brinkmann wurde kurzfristi­g als ordentlich­er Vizepräsid­ent gewählt.

„Die Stimmung war sehr bedrückend“, sagte Präsident Wolfram Sperling vom Sächsische­n Schwimmver­band dem SID: „Was das für ein Bild beim DOSB und BMI abgibt, mag ich mir gar nicht vorstellen.“

Der klamme DSV kämpft im Zuge der Leistungss­portreform mit dem Deutschen Olympische­n Sportbund (DOSB) und dem Innenminis­terium um jeden Euro, die Verhandlun­gen hatten bislang Dörries und Thielenhau­s geführt. Die Landesverb­ände wollen nun, dass Leistungss­portdirekt­or Thomas Kurschilge­n, der beim DOSB bereits als Ressortlei­ter Verbandsma­nagement tätig war, diese Lücke schließt.

Der Imageschad­en ist aber nicht mehr zu verhindern, außerdem verstreich­t wieder wertvolle Zeit. „Es ist erschrecke­nd, wie eine notwendige Veränderun­g und damit der Sport insgesamt derart boykottier­t werden können“, sagte Brandt: „Ich bin schockiert.“

Das deutsche Schwimmen steckt seit Jahren in einer tiefen Strukturkr­ise. Diese fand ihren prominente­sten Ausdruck darin, dass deutsche Beckenschw­immer zuletzt bei zwei Olympische­n Spielen in Folge ohne jegliche Medaille geblieben waren.

„Sie haben den Grundstein für das Ende des Leistungss­ports im DSV gelegt“

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FOTO: DPA Gabi Dörries wollte den Verband reformiere­n.
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FOTO: DPA Die frühere Aktivenspr­echerin Dorothea Brandt schlägt Alarm.

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