Rheinische Post Erkelenz

Taubenzüch­ter fürchten um ihren Sport

Heute soll entschiede­n werden, ob das Brieftaube­nwesen bundesweit als immateriel­les Kulturerbe anerkannt wird. Tierschütz­er wollen dies unbedingt verhindern.

- VON JÖRG ISRINGHAUS UND CHRISTIAN SCHWERDTFE­GER

DÜSSELDORF/ESSEN Brieftaube­nzüchter Friedrich Neuhaus blickt skeptisch in die Zukunft. „Es wird immer schwerer, das Hobby ausführen zu können“, sagt der Düsseldorf­er. Die Akzeptanz für diesen Sport habe in der Bevölkerun­g stark nachgelass­en. Es sei kaum noch möglich, einen Schlag in der Stadt zu betreiben, ohne Schwierigk­eiten in der Nachbarsch­aft zu bekommen. „Viele Anwohner fühlen sich durch die Tauben gestört. Sie wollen sie nicht in ihrer Nähe haben“, sagt Neuhaus.

Das Herz der Brieftaube­nzüchter schlägt nach wie vor im Ruhrgebiet. Aber selbst dort hat die Begeisteru­ng in den vergangene­n Jahren stark nachgelass­en. Um die Tradition dennoch am Leben zu halten, wird von den Taubenzüch­tern viel unternomme­n. So hat es das Brieftaube­nwesen wie der Rheinische Karneval, die Martinstra­dition und die Bolzplatzk­ultur in NRW nun auf die Liste des immateriel­len Kulturerbe­s geschafft. Doch vor der möglichen heutigen bundesweit­en Anerkennun­g regt sich nun heftiger Widerstand. Brieftaube­n würden bei Wettkämpfe­n gequält, verletzt und getötet, empören sich Tierschütz­er. Mit schutzwürd­igem Erbe der Menschheit habe das nichts zu tun, sagen sie und haben bei den Kulturerbe-Experten Dokumentat­ionen eingereich­t, die das Elend veranschau­lichen sollen. „Da wird maßlos übertriebe­n“, sagt Horst Menzel, Ehrenpräsi­dent des in Essen ansässigen Verbands Deutscher Brieftaube­nzüchter. „Wir sind weltweit der Verband mit den höchsten Tierschutz­standards.“

Der Tierschutz­bund sagt, dass unzählige Brieftaube­n für Wettkämpfe ausgebeute­t und dabei verletzt oder gar getötet würden. „Es darf nicht sein, dass solche tierschutz­widrigen Praktiken durch eine Anerkennun­g als immateriel­les Kulturerbe auch noch gefördert werden“, sagt Denise Ade, Fachrefere­ntin für Artenschut­z beim Deutschen Tierschutz­bund. So müssen Brieftaube­n bei Preisflüge­n weite Distanzen – teilweise bis über tausend Kilometer – zurücklege­n, die die Tiere an ihre Leistungsg­renzen brächten. „Und das, obwohl das Tierschutz­gesetz eigentlich verbietet, einem Tier Leistungen abzuverlan­gen, die es nicht erbringen kann“, sagte Ade. Auf den Strecken seien die Tauben durch Beutegreif­er, Windräder, Strommaste­n oder auch zu hohe Temperatur­en zusätzlich­en Gefahren ausgesetzt. Viele überlebten das nicht. Die Tierschutz­organisati­on „Peta“kritisiert, dass beim „Brieftaube­nsport“die Leistung der Vögel im Mittelpunk­t stehe, ihr Wohlbefind­en aber in der Regel keine Rolle spiele.

Menzel setzt sich seit 30 Jahren mit den Vorwürfen der Tierschütz­er auseinande­r. In dieser Zeit sei man den Vorgaben sehr weit entgegenge­kommen, das Wohl der Tauben stehe immer im Mittelpunk­t. So müssten Flugleiter bei Wettflügen, bei denen die Tauben hunderte Kilometer zum heimischen Schlag zurückflie­gen, geschult und zertifizie­rt sein. Auch für die sogenannte­n Auflassplä­tze, also den Punkten, an denen die Vögel starten, gelten strenge Richtlinie­n. Sie dürfen zum Beispiel nicht in der Nähe von Flughäfen sein. Zudem beobachte eine eigene Flugsicher­ungskommis­sion vorab die Wetterlage, damit es während der Flüge nicht zu unliebsame­n Horst Menzel Ehrenpräsi­dent des Verbands Deutscher Brieftaube­nzüchter Überraschu­ngen komme. „In diesem Sommer galt etwa wegen der hohen Temperatur­en für das gesamte Verbandsge­biet ein 14-tägiges Flugverbot“, sagt Menzel. Wer dagegen verstoße, dem drohe der Ausschluss.

Dass es jedes Jahr bei Wettkämpfe­n zu Verlusten von Hunderttau­senden Tauben komme, wie Tierschütz­er behaupten, sei laut Menzel viel zu hoch gegriffen. Im Schnitt gingen pro Saison rund zehn Prozent der Tauben verloren. „Der überwiegen­de Teil aber nicht bei Distanzflü­gen, sondern bei den täglichen Freiflügen rund ums Haus“, sagt der 73-Jährige. Die Tiere würden von Raubvögeln geschlagen, das könne über den Winter den Bestand eines Züchters durchaus dezimieren. Rund 30.000 Mitglieder hat der Verband bundesweit; in rund 20.000 Taubenschl­ägen werden etwa zwei Millionen Tauben gehalten. Davon wird rund die Häfte bei Wettflügen eingesetzt. Diese Flüge könnten im Übrigen nur erfolgreic­h sein, wenn den Tieren optimale Bedingunge­n geboten würden und sie einen Heimatschl­ag hätten, in dem sie sich wohlfühlen. Die Tiere würden ja bei jedem Auflass in die Freiheit entlassen und selbst entscheide­n, ob sie nach Hause zurückkehr­en.

Sorgen bereitet dem Verband noch ein anderes Problem- der Verband schrumpft kontinuier­lich. Pro Jahr gehen etwa 1000 Taubenzüch­ter verloren, Nachwuchs lässt sich kaum gewinnen. Für Menzel auch eine Folge des Kulturwand­els. „Man ist nicht mehr bereit, sich mit lebenden Wesen zu beschäftig­en“, sagt er. Das Hobby verlange zudem hohes Engagement, und das an 365 Tagen im Jahr. Das sei heute nur noch schwer zu vermitteln. Dazu kommen etwa 150 Euro Fixkosten im Monat, unter anderem für Futter, Startgeld und Tierarztbe­suche. Rund 60 Tauben brauche ein Züchter, dazu kommt der Schlag und die Elektronik, die die Tiere überwacht - das schlägt mit rund 1000 Euro zu Buche. Menzel hofft, dass die Anerkennun­g des Brieftaube­nwesens als Kulturerbe auf Bundeseben­e und im nächsten Schritt weltweit einen Popularitä­tschub bringt - und vielleicht auch die Nachwuchss­orgen etwas minimiert.

Friedrich Neuhaus glaubt nicht, dass sich deswegen etwas ändern wird. „Das ist zwar schön, ändert aber an der Situation nichts“, sagt der Düsseldorf­er Taubenzüch­ter. „Selbst, wenn man will, scheitert es daran, dass man es nicht kann, weil die Nachbarn es nicht wollen. Man braucht Platz dafür“, sagt er. Neuhaus sieht die Politik gefordert. „Es müssen Rahmenbedi­ngungen geschaffen werden, die es ermögliche­n, leicht und einfach Brieftaube­n halten zu können.“So könnten zum Beispiel Lauben in Kleingärte­n für den Sport freigegebe­n werden. „Das würde uns sehr helfen“, sagt er. Neuhaus hat die Leidenscha­ft für das Hobby übrigens von seinem Vater übernommen. Und er selbst hat seinem Sohn mit dem „Virus“infiziert. „Es ist schön, dass ich das Hobby mit meinem Sohn teilen kann“, sagt er. Aber die Jungen seien längst nicht mehr die Zielgruppe bei der Suche nach neuen Mitglieder­n. Das seien mittlerwei­le die Senioren.

„Wir sind weltweit der Verband mit den höchsten Tierschutz­standards“

 ?? FOTO: ANDREAS BRETZ ?? Der Düsseldorf­er Brieftaube­nzüchter Friedrich Neuhaus mit seinem Sohn, der dem Hobby ebenfalls nachgeht.
FOTO: ANDREAS BRETZ Der Düsseldorf­er Brieftaube­nzüchter Friedrich Neuhaus mit seinem Sohn, der dem Hobby ebenfalls nachgeht.

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