Rheinische Post Erkelenz

Tragisches Kontinuum

Beim CDU-Parteitag hat nicht nur Merz verloren, sondern auch sein Mentor Schäuble.

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Niederlage verhindert­e sicheren Sieg. So lautete einmal eine Schlagzeil­e der Lokalzeitu­ng, bei der ich angefangen habe. Es ging um ein Schachturn­ier, bei der eine Mannschaft mit der Niederlage in einer Partie den Gesamtsieg verspielte. An diese Zeile musste ich vergangene Woche beim CDU-Parteitag denken. Friedrich Merz vergeigte mit seiner Rede in Herrenreit­er-Attitüde einen greifbaren Sieg. Insofern ist es verdient, dass sich Annegret Kramp-Karrenbaue­r den Parteivors­itz sicherte. Diese Niederlage von Merz ist auch eine Schmach für Wolfgang Schäuble. Der Grandseign­eur der CDU hatte Merz hinter den Kulissen zu seinem Comeback ermuntert und zeitgleich in Interviews Säure auf die Kanzlerin und Parteivors­itzende geträufelt.

Nach der Merziade muss man festhalten: Schäuble ist ein Zauderer mit dem sicheren Gespür für den falschen Moment. In einer ARD-Doku über die drei Kandidaten hatte Merz zuletzt offenbart, was in Berlin alle Kundigen wussten: dass Schäuble nach Merkels Flüchtling­s-Solo tatsächlic­h damit geliebäuge­lt hat, gegen sie zu putschen und selbst Kanzler zu werden.

Das wäre in der Tat der richtige Zeitpunkt gewesen. Das Gefühl fürs Momentum hat er auch da vermissen lassen. Damit ist bewiesen, dass Schäuble bei all seiner politische­n Weisheit und Brillanz das letzte Quantum Mut und ja: auch Brutalität fehlt. Sein derzeitige­s Amt als Bundestags­präsident sichert ihm einen überpartei­lichen Ort, von dem aus er seinen Rekord als längstgedi­enter deutscher Parlamenta­rier genießen kann. Es wäre ihm zu wünschen, dass er das Kunststück noch würdig hinbekommt, bei dem er Angela Merkel behilflich sein wollte: einen Abschied zum spätestric­htigen Moment.

Christoph Schwennick­e ist Chefredakt­eur des „Cicero“und schreibt regelmäßig an dieser Stelle im Rahmen einer Kooperatio­n.

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