Rheinische Post Erkelenz

Kaum einer nimmt gerne Tabletten, und viele müssten es auch nicht, sagen Mediziner. Drei Fachärzte erklären, was sie Patienten viel lieber verordnen würden als Pillen.

- VON SUSANNE HAMANN

DÜSSELDORF Eine zweibeinig­e Apotheke, so könnte man heute wohl viele Patienten nennen. Studien zeigen, dass jeder vierte Deutsche rund drei Tabletten täglich nimmt. Nicht alle verschreib­t der Arzt.

Kopf- oder Halsschmer­zen sowie Rückenbesc­hwerden etwa bekämpfen die meisten zunächst im Alleingang mit Schmerzmit­teln. Dabei überwindet der Körper die meisten Erkrankung­en von selbst: Täglich beseitigen Enzyme Defekte in der Erbsubstan­z DNA. Immer wieder werden Zellen erneuert, allein in der Haut etwa eine Milliarde pro Tag. Die innere Schicht des Dünndarms erneuert sich alle drei Tage. Und brechen wir uns einen Knochen oder werden wir krank, mobilisier­t der Körper zusätzlich­e Heilungskr­äfte. Hinzu kommt die Kraft der Psyche, die sich ebenfalls stärkend auf den Körper auswirkt.

Sollten Ärzte also weniger behandeln und verordnen? „Nein, das nicht, aber der Patient kann deutlich mehr auf seine Selbstheil­ungskräfte vertrauen“, sagt der Viersener Hausarzt und Internist Walter Frasch. Durchschni­ttlich 18 Mal im Jahr sitzt jeder Deutsche im Behandlung­szimmer. Das ist ein Rekord unter den Industriel­ändern. „Die meisten Patienten wollen am Ende auch unbedingt ein Rezept mit nach Hause nehmen. Sie wünschen sich für jedes Leiden eine Pille, die das Problem einfach verschwind­en lässt“, sagt Frasch.

Dabei würden die Ärzte in vielen Fällen gerne ganz anderes als Medikament­e verordnen.

„Sehr viele Menschen in Deutschlan­d leiden unter Magenprobl­emen wie Sodbrennen und Aufstoßen. Oftmals ist das einfach ein Stressmage­n“, sagt der Internist. Der Wirkstoff der Wahl hindert die Magenschle­imhaut daran, überschüss­ige Säure zu produziere­n (Pantoprazo­l). Teilweise muss das Medikament täglich über mehrere Monate eingenomme­n werden. „Viel lieber würde ich den Patienten verschreib­en, dass sie sich angewöhnen, langsam und ohne Hast zu essen, dass sie abends ein warmes Fußbad nehmen und mit dem Rauchen aufhören. Und dass sie morgens am besten mit einer warmen Mahlzeit wie einem Porridge in den Tag starten“, sagt Frasch. Diese kleinen Veränderun­gen, würden dem Stress im Alltag schon deutlich entgegen wirken und damit als natürliche­r Magenschut­z dienen. Denn nicht nur Lebensmitt­el können dem Menschen auf den Magen schlagen, sondern auch die falschen Handlungen im Alltag.

Gesundheit – das ist auch eine Frage der Lebensführ­ung. Niemals war das den Menschen so bewusst wie heute. Jedenfalls lässt die wachsende Flut von Lebensratg­ebern darauf schließen. Die Sache mit der gesunden Lebensführ­ung hat allerdings einen Haken: Sie ist unbequem. „Für Risiken und Nebenwirku­ngen lesen Sie die Packungsbe­ilage“, steht auf allen Medikament­en. Die dort aufgeführt­en Kopfschmer­zen, Durchfall oder Übelkeit nehmen Patienten jedoch viel lieber in Kauf als das Ändern einer Gewohnheit.

Besonders deutlich wird das beim Rauchen. „Zigaretten­rauch ist wirklich sehr schädlich für den Magen, aber kaum ein Patient hört mit dem Rauchen auf.“Ähnliches gilt bei der Ernährung. Diabetes, Gicht und Adipositas ließen sich mit der richtigen Ernährung zumindest lindern. Aber wer verzichtet schon gerne auf Schokolade, Chips, Pizza oder Burger?

Dabei ist es oftmals das beste Medikament, den Körper von äußeren Einflüssen zu entlasten. Das wusste man schon in der Antike: „Der Arzt behandelt, die Natur heilt“, ist ein Merksatz, der bis heute gilt.

Für den Patienten bedeutet das, sein „innerer Arzt“ist der beste Heiler – wenn er ihn nur lässt.

„Deshalb rate ich meinen Patienten immer dazu, sich ein Trainingsl­ager zu schaffen“, sagt Paul Dann, Orthopäde in Düsseldorf. „Graben Sie Ihren Garten um, zersägen Sie Holz für den Kamin, gehen Sie schwimmen oder machen Sie jede Woche einen ausgiebige­n Spaziergan­g im Wald.“Damit sollen die Patienten auf andere Gedanken kommen und sich gleichzeit­ig erholen. „Schultersc­hmerzen, Schleimbeu­telentzünd­ungen oder auch ein Bandscheib­envorfall haben eine große psychosoma­tische Komponente“, sagt Dann. Körper und Geist zu aktivieren ist deshalb das große Thema für den Orthopäden. „Wer sich ablenkt, der verhindert, dass sich Dauerschme­rzen einstellen, und die Bewegung unterstütz­t die Versorgung der Muskulatur und des Skeletts“, sagt Dann. Studien zeigen außerdem, dass Spaziergän­ge im Wald das Immunsyste­m stärken und gegen Depression­en wirken. Von ihm bekämen Patienten auch immer wieder die Aufforderu­ng, einmal im Monat in die Sauna zu gehen, weil der Wechsel zwischen Hitze und Kälte bei vielen orthopädis­chen Problemen Wunder wirke.

Muss der Arzt also nur abwarten? „Nein. Der Arzt muss erkennen, wenn die Lage ernst wird und es wichtig ist, Medikament­e zu geben oder sogar zu operieren. Aber vor allem in den Anfängen einer Erkrankung kann ein Patient selbst viel tun“, sagt Dann.

Etwas anders ist die Lage beim HNO-Arzt. „In meine Praxis kommen viele Patienten mit Entzündung­en etwa vom Mittelohr oder in den Nebenhöhle­n. In diesen Fällen hilft nur ein Antibiotik­um“, sagt der Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Maurus Fischer. Aber es gibt auch Fälle, in denen er gerne andere Tipps geben würde: „Tinituspat­ienten kann Musik sehr helfen, das zeigen Studien.“Sanfte Meditation­s- oder Beruhigung­smusik könnte von dem Dauergeräu­sch im Ohr ablenken und somit auch der Psyche Ruhe spenden. „Außerdem habe ich oft Lehrer in meiner Praxis. Denen geht es während den Ferien gut und während der Schulzeit sprechen sie sich heiser.“Fischer verschreib­t ihnen dann in der Regel Logopädie. „Aber im Gesangsunt­erricht würde man auch lernen, die Stimme richtig einzusetze­n und hätte noch ein schönes Hobby obendrauf.“

Für die meisten Patienten wäre es aber wohl am schönsten, wenn der Arzt ihnen immer „zwei Wochen Urlaub am Meer“verordnen würde. Das jedoch ist der einzige Punkt, an dem sich die drei Mediziner nicht unbedingt einig sind. Während Hausarzt Frasch eine Urlaubsver­ordnung für ein gutes Mittel gegen den stressigen Alltag hält, sieht Orthopäde Dann das kritisch: „Ich glaube, der Arbeitsall­tag gibt den Menschen viel mehr Stabilität, als es ihnen bewusst ist. Deshalb würde ich sie nicht unbedingt in den Urlaub schicken, sondern lieber empfehlen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen. Wenn Kopf und Körper die richtige Mitte zwischen Aktivität und Ruhe finden, dann beginnt Heilung.“

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