Kaum einer nimmt gerne Tabletten, und viele müssten es auch nicht, sagen Mediziner. Drei Fachärzte erklären, was sie Patienten viel lieber verordnen würden als Pillen.
DÜSSELDORF Eine zweibeinige Apotheke, so könnte man heute wohl viele Patienten nennen. Studien zeigen, dass jeder vierte Deutsche rund drei Tabletten täglich nimmt. Nicht alle verschreibt der Arzt.
Kopf- oder Halsschmerzen sowie Rückenbeschwerden etwa bekämpfen die meisten zunächst im Alleingang mit Schmerzmitteln. Dabei überwindet der Körper die meisten Erkrankungen von selbst: Täglich beseitigen Enzyme Defekte in der Erbsubstanz DNA. Immer wieder werden Zellen erneuert, allein in der Haut etwa eine Milliarde pro Tag. Die innere Schicht des Dünndarms erneuert sich alle drei Tage. Und brechen wir uns einen Knochen oder werden wir krank, mobilisiert der Körper zusätzliche Heilungskräfte. Hinzu kommt die Kraft der Psyche, die sich ebenfalls stärkend auf den Körper auswirkt.
Sollten Ärzte also weniger behandeln und verordnen? „Nein, das nicht, aber der Patient kann deutlich mehr auf seine Selbstheilungskräfte vertrauen“, sagt der Viersener Hausarzt und Internist Walter Frasch. Durchschnittlich 18 Mal im Jahr sitzt jeder Deutsche im Behandlungszimmer. Das ist ein Rekord unter den Industrieländern. „Die meisten Patienten wollen am Ende auch unbedingt ein Rezept mit nach Hause nehmen. Sie wünschen sich für jedes Leiden eine Pille, die das Problem einfach verschwinden lässt“, sagt Frasch.
Dabei würden die Ärzte in vielen Fällen gerne ganz anderes als Medikamente verordnen.
„Sehr viele Menschen in Deutschland leiden unter Magenproblemen wie Sodbrennen und Aufstoßen. Oftmals ist das einfach ein Stressmagen“, sagt der Internist. Der Wirkstoff der Wahl hindert die Magenschleimhaut daran, überschüssige Säure zu produzieren (Pantoprazol). Teilweise muss das Medikament täglich über mehrere Monate eingenommen werden. „Viel lieber würde ich den Patienten verschreiben, dass sie sich angewöhnen, langsam und ohne Hast zu essen, dass sie abends ein warmes Fußbad nehmen und mit dem Rauchen aufhören. Und dass sie morgens am besten mit einer warmen Mahlzeit wie einem Porridge in den Tag starten“, sagt Frasch. Diese kleinen Veränderungen, würden dem Stress im Alltag schon deutlich entgegen wirken und damit als natürlicher Magenschutz dienen. Denn nicht nur Lebensmittel können dem Menschen auf den Magen schlagen, sondern auch die falschen Handlungen im Alltag.
Gesundheit – das ist auch eine Frage der Lebensführung. Niemals war das den Menschen so bewusst wie heute. Jedenfalls lässt die wachsende Flut von Lebensratgebern darauf schließen. Die Sache mit der gesunden Lebensführung hat allerdings einen Haken: Sie ist unbequem. „Für Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage“, steht auf allen Medikamenten. Die dort aufgeführten Kopfschmerzen, Durchfall oder Übelkeit nehmen Patienten jedoch viel lieber in Kauf als das Ändern einer Gewohnheit.
Besonders deutlich wird das beim Rauchen. „Zigarettenrauch ist wirklich sehr schädlich für den Magen, aber kaum ein Patient hört mit dem Rauchen auf.“Ähnliches gilt bei der Ernährung. Diabetes, Gicht und Adipositas ließen sich mit der richtigen Ernährung zumindest lindern. Aber wer verzichtet schon gerne auf Schokolade, Chips, Pizza oder Burger?
Dabei ist es oftmals das beste Medikament, den Körper von äußeren Einflüssen zu entlasten. Das wusste man schon in der Antike: „Der Arzt behandelt, die Natur heilt“, ist ein Merksatz, der bis heute gilt.
Für den Patienten bedeutet das, sein „innerer Arzt“ist der beste Heiler – wenn er ihn nur lässt.
„Deshalb rate ich meinen Patienten immer dazu, sich ein Trainingslager zu schaffen“, sagt Paul Dann, Orthopäde in Düsseldorf. „Graben Sie Ihren Garten um, zersägen Sie Holz für den Kamin, gehen Sie schwimmen oder machen Sie jede Woche einen ausgiebigen Spaziergang im Wald.“Damit sollen die Patienten auf andere Gedanken kommen und sich gleichzeitig erholen. „Schulterschmerzen, Schleimbeutelentzündungen oder auch ein Bandscheibenvorfall haben eine große psychosomatische Komponente“, sagt Dann. Körper und Geist zu aktivieren ist deshalb das große Thema für den Orthopäden. „Wer sich ablenkt, der verhindert, dass sich Dauerschmerzen einstellen, und die Bewegung unterstützt die Versorgung der Muskulatur und des Skeletts“, sagt Dann. Studien zeigen außerdem, dass Spaziergänge im Wald das Immunsystem stärken und gegen Depressionen wirken. Von ihm bekämen Patienten auch immer wieder die Aufforderung, einmal im Monat in die Sauna zu gehen, weil der Wechsel zwischen Hitze und Kälte bei vielen orthopädischen Problemen Wunder wirke.
Muss der Arzt also nur abwarten? „Nein. Der Arzt muss erkennen, wenn die Lage ernst wird und es wichtig ist, Medikamente zu geben oder sogar zu operieren. Aber vor allem in den Anfängen einer Erkrankung kann ein Patient selbst viel tun“, sagt Dann.
Etwas anders ist die Lage beim HNO-Arzt. „In meine Praxis kommen viele Patienten mit Entzündungen etwa vom Mittelohr oder in den Nebenhöhlen. In diesen Fällen hilft nur ein Antibiotikum“, sagt der Hals-, Nasen- und Ohrenarzt Maurus Fischer. Aber es gibt auch Fälle, in denen er gerne andere Tipps geben würde: „Tinituspatienten kann Musik sehr helfen, das zeigen Studien.“Sanfte Meditations- oder Beruhigungsmusik könnte von dem Dauergeräusch im Ohr ablenken und somit auch der Psyche Ruhe spenden. „Außerdem habe ich oft Lehrer in meiner Praxis. Denen geht es während den Ferien gut und während der Schulzeit sprechen sie sich heiser.“Fischer verschreibt ihnen dann in der Regel Logopädie. „Aber im Gesangsunterricht würde man auch lernen, die Stimme richtig einzusetzen und hätte noch ein schönes Hobby obendrauf.“
Für die meisten Patienten wäre es aber wohl am schönsten, wenn der Arzt ihnen immer „zwei Wochen Urlaub am Meer“verordnen würde. Das jedoch ist der einzige Punkt, an dem sich die drei Mediziner nicht unbedingt einig sind. Während Hausarzt Frasch eine Urlaubsverordnung für ein gutes Mittel gegen den stressigen Alltag hält, sieht Orthopäde Dann das kritisch: „Ich glaube, der Arbeitsalltag gibt den Menschen viel mehr Stabilität, als es ihnen bewusst ist. Deshalb würde ich sie nicht unbedingt in den Urlaub schicken, sondern lieber empfehlen, das Tempo aus dem Alltag zu nehmen. Wenn Kopf und Körper die richtige Mitte zwischen Aktivität und Ruhe finden, dann beginnt Heilung.“