Virtuelle Spaziergänge der Erinnerung
Spaziergänge durch die einstigen Dörfer Borschemich, Immerath, Lützerath und Pesch ermöglicht die Internetseite virtuelles-garzweiler.de. Philip Rademacher (22) hat sie erstellt und jahrelang Fotografien dafür angefertigt.
ERKELENZ Philip Rademacher war ein Kind, da lernte er bei einem Ausflug den Tagebau Garzweiler kennen. Er stand in Otzenrath und Spenrath, zwei fast schon vollständig abgerissenen Dörfern, konnte sich aber trotz aller Bemühungen nicht vorstellen, wie sie ursprünglich einmal ausgesehen haben könnten. Inzwischen ist Rademacher 22 Jahre alt, studiert und hat seine Kindheitserfahrung zu einem Projekt gemacht. Er fotografierte Borschemich, Immerath, Lützerath und Pesch so, dass er die Straßenzüge auf einer Internetseite wieder zu virtuell begehbaren Orten zusammensetzen konnte. Mit seiner Internetseite möchte Philip Rademacher, der aus Heinsberg stammt und dort das Kreisgymnasium besuchte, den Menschen die Möglichkeit eröffnen, sich an jene Dörfer zu erinnern, die im Erkelenzer Land dem Braunkohlenabbau zum Opfer gefallen sind. „Gerade auch in der aktuellen Debatte um den Hambacher Forst interessieren sich viele Menschen dafür, wie die umgesiedelten Dörfer früher einmal ausgesehen haben.
Wenn man heute in Immerath (alt) durch die leeren Straßen geht, ist es schwierig, die Größe des ehemaligen Ortes zu begreifen“, schildert Rademacher einen Antrieb, dieses Fotoprojekt zu betreiben. Ein zweiter ist sein grundsätzliches Geschichtsinteresse, weshalb er derzeit in Wuppertal neben Wirtschaftswissenschaften auch Geschichte studiert: „Im Studium ist es eigentlich so, dass man erhaltene Zeugnisse vergangener Zeiten betrachtet und unter bestimmten Fragestellungen analysiert. In diesem Fotoprojekt hingegen ist es andersrum: Ich bin derjenige, der die Zeugnisse der nun vergangenen Zeiten geschaffen hat und mit der Internetseite erhält.“
Selbst hat Philip Rademacher seine Internetseite programmiert und dort nahezu komplett begehbare Dörfer entstehen lassen. Es gehörte für ihn von Beginn an dazu, seine Idee selbstständig umzusetzen und sich Gedanken über deren Umsetzung zu machen. Eingeschränkt hingegen war seine Selbstständigkeit anfangs beim Fotografieren. „Als ich noch kein Auto hatte“, erzählt der heute 22-Jährige, „war ich auf meine Eltern, das Fahrrad oder den Bus angewiesen, und deshalb habe ich nicht oft, aber dafür lange fotografiert.
Nie interessiert hat es Philip Rademacher, in die Privatsphäre der Bewohner oder ehemaligen Bewohner einzudringen: „Für mich gab es keinen Reiz, Häuser zu betreten und beispielsweise Lost-Places-Fotografien anzufertigen. Diese sind auf meiner Internetseite nicht zu finden – ich bin am ursprünglichen Zustand der Dörfer interessiert.“
Im Moment ist Rademacher damit beschäftigt, den Rundgang durch Pesch zu überarbeiten und um Kurzinformationen zu einstigen Sehenswürdigkeiten zu ergänzen. „Langfristig möchte ich auch Rundgänge zu den bereits vor längerer Zeit umgesiedelten Orten erstellen, dazu suche ich noch mehr Fotos“, kündigt Philip Rademacher an und hofft auf Unterstützung wie für Otzenrath, Spenrath und Holz: „Für diese Orte hat besonders der Jüchener Fotograf Günter Holdt gute Fotos bereitgestellt, die ich in den Rundgängen verwenden konnte. Er hat sich bei mir aufgrund eines Zeitungsartikels gemeldet, und wir sind bis heute in Kontakt geblieben.“