Leipzig – Ort der süßen Illusion
Die wirtschaftliche Lage der Buchbranche bleibt zum Start der Frühjahrsmesse bedenklich.
LEIPZIG Auf Buchmessen beraten in der Regel Verlage ihre Leser. Oder Agenten ihre Autoren. In diesem Jahr aber ist manches anders. Es ist die Branche der Verleger und Buchhändler selbst, die neuerdings um Rat sucht. Denn mit dem Insolvenzverfahren des Buchgroßhändlers Koch, Neff & Volckmar (KNV ) ist der halbe Buchmarkt hierzulande ins Wanken geraten. Und so können sich Verleger und Händler auf der Leipziger Buchmesse ab Donnerstag über die Folgen der Insolvenz für ihr eigenes Geschäft beraten lassen – auf einer großen Info-Veranstaltung oder in 15-minütigen Einzelberatungen.
All das scheint mehr als notwendig zu sein. Über 2000 Anfragen sind seit Februar bei der Rechtsabteilung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels eingegangen. Die Verlage sorgen sich vor allem um ihren Gewinnanteil aus dem zurückliegenden Weihnachtsgeschäft, aus der traditionell noch immer umsatzstärksten Jahreszeit.
Zugegeben, eine „KNV-Insolvenz“klingt nicht halb so spektakulär wie die wirtschaftlichen Schwierigkeiten eines namhaften und traditionsreichen Literaturverlags. Doch ist die Krise um KNV vielfach schwerwiegender. Deutschlands größter Zwischenbuchhändler ist das Scharnier zwischen Verlag und Händler, der Brückenschlag zum Leser: mit 590.000 Titeln von 5000 Verlagen, von denen die meisten aus dem Erfurter Zentrallager innerhalb von 24 Stunden zugestellt werden können.
Pünktlich zum Messestart am morgigen Donnerstag wird darum erst einmal gute Stimmung verbreitet. So rühmt Insolvenzverwalter Tobias Wahl sicherheitshalber die „Verbundenheit und Treue sowie Solidarität“der gesamten Branche in dieser schweren Zeit.
Der Zusammenhalt wird auch genährt durch einen scheinbar übermächtigen „Feind“, also Amazon. So löste selbst die im Januar angekündigte Fusion von Thalia mit 300 Läden und der Mayerschen mit 55 Filialen kein größeres Entsetzen aus. Nicht jede Marktkonzentration ist gut, aber manches ist nach Meinung der Branche immer noch besser als eine Kapitulation vor Amazon.
Die Buchmesse selbst gibt sich von all dem zunächst unbeeindruckt. 2600 Teilnehmer aus 46 Ländern werden in den Hallen vertreten sein. Und weil Leipzig – im Gegensatz zum reformbedürftigen Frankfurt – eine Messe für den sogenannten literarischen Endverbraucher ist, gibt es an den drei Tagen rund 3600 Lesungen an 500 Orten der Pleiße-Stadt. An diesen Tagen ist Leipzig die Stätte einer süßen Illusion, dass nämlich die Buchkultur der digitalen Welt die weise Stirn bietet und den Lebensrhythmus der Menschen vorgibt.
Eine Studie aus dem vergangenen Sommer hat ein anderes, weniger idyllisches Bild gezeichnet. Danach ist die Zahl der Buchkäufer von 2013 bis 2017 um 6,4 Millionen gesunken. Jeder zweite Deutsche kauft mittlerweile kein Buch mehr – also: kein einziges! Dass der Umsatz dennoch nicht rapide gesunken ist, lag an den treuen Lesern. Sie kauften nämlich mehr Titel als bisher und waren außerdem dazu bereit, höhere Preise zu bezahlen.
Die jüngsten Wasserstandsmeldungen der Branche sind wieder beruhigender: Im Februar lagen die Umsätze 2,7 Prozent über denen des Vorjahres. 13,71 Euro musste zuletzt pro Buch bezahlt werden, 2,8 Prozent mehr als im Vergleichsmonat 2018. Und das in digitalen Zeiten mit ihrem Versprechen auf kostenfreie Zugänge zu den Texten dieser Welt!
Warum also überhaupt der Gang in den Buchladen? Nur Leser wissen, warum man so etwas tut.