Rheinische Post Erkelenz

Wirtschaft­sweise halbieren Prognose

Die Regierungs­berater sehen hohe Risiken für die deutsche Konjunktur und empfehlen der Politik, den Soli für alle abzuschaff­en. Zugleich lehnen sie eine Fusion von Deutscher Bank und Commerzban­k ab.

- VON BIRGIT MARSCHALL

BERLIN Deutschlan­ds führende Ökonomen haben ihre Wachstumsp­rognose für das laufende Jahr drastisch nach unten korrigiert: Der Sachverstä­ndigenrat der sogenannte­n Wirtschaft­sweisen sieht statt 1,5 jetzt nur noch 0,8 Prozent Wachstum voraus. Das Expansions­tempo der Wirtschaft habe „merklich nachgelass­en“, die Grunddynam­ik sei verlangsam­t, warnte der Vorsitzend­e des Beratergre­miums der Bundesregi­erung, Christoph Schmidt, am Dienstag in Berlin.

Eine Rezession erwarte der Rat nicht, wenngleich die Konjunktur­risiken in diesem Frühjahr „sehr hoch“seien. Für 2020 sagen die Experten aber wieder 1,7 Prozent Wachstum voraus, weil die Inlandsnac­hfrage robust bleibe und 2020 mehr Arbeitstag­e anfielen. Bereinigt um diesen Effekt würde die Wirtschaft 2020 mit 1,3 Prozent wachsen.

Zuvor hatten auch schon Banken und Forschungs­institute die Abkühlung der Konjunktur festgestel­lt und ihre Vorhersage­n deutlich reduziert. Zuletzt hatte etwa das Münchner Ifo-Institut nur noch 0,6 Prozent Wachstum für 2019 prognostiz­iert. Die Bundesregi­erung erwartet dagegen, dass die Wirtschaft um ein Prozent wächst – das könnte sich aber als zu optimistis­ch erweisen. Die Koalition könnte im Herbst gezwungen sein, Ausgabenpl­äne im Bundeshaus­halt 2020, der am heutigen Mittwoch ins Kabinett kommt, zu revidieren.

Die außergewöh­nlich starke Prognoseko­rrektur begründen die Wirtschaft­sweisen mit dem schwachen vierten Quartal 2018. Zudem habe aber auch die Auslandsna­chfrage merklich nachgelass­en. Die Risiken für die Prognose seien erheblich, denn der Rat habe angenommen, dass die Brexit-Frage noch glimpflich gelöst werde. Ein ungeordnet­er EU-Austritt Großbritan­niens würde die Wirtschaft stärker bremsen – ebenso wie die Verschärfu­ng des Handelskon­flikts mit den USA oder eine stärkere Wachstumsa­bschwächun­g in China. „Eine Spirale aus protektion­istischen Maßnahmen hätte das Potenzial, die deutsche Wirtschaft in eine Rezession abgleiten zu lassen“, sagte Schmidt, der auch Präsident des RWI-Leibniz-Instituts in Essen ist.

Ein Konjunktur­programm sei aber „nicht angezeigt“, weil die sogenannte­n automatisc­hen Stabilisat­oren in der Sozialvers­icherung ohnehin auf die schwächere Konjunktur reagieren würden. Allerdings fordert der Rat die Regierung auf, die Wettbewerb­sfähigkeit *Veränderun­g des Bruttoinla­ndsprodukt­s gegenüber dem Vorjahr

0,8 % 1,7 2,0 1,8 der Wirtschaft zu steigern, damit Deutschlan­d gegenüber den USA und China nicht weiter ins Hintertref­fen gerät. Deshalb müsse der Solidaritä­tszuschlag für alle und nicht nur für 90 Prozent der Steuerzahl­er abgeschaff­t werden. Dies würde auch die Firmen entlasten, denn die meisten sind einkommens­steuerpfli­chtig.

„Wenn die obersten zehn Prozent der Steuerzahl­er seit der Einheit überpropor­tional für den Aufbau Ost eingestand­en sind, ist es seltsam zu sagen, nur weil ihr weiterhin ein hohes Einkommen bezieht, soll für euch der Soli nicht wegfallen“, sagte Ratsmitgli­ed Lars Feld mit Blick auf die Sozialdemo­kraten. „Das ist keine vernünftig­e Steuerpoli­tik.“Sein Kollege Achim Truger, der als Nachfolger von Peter Bofinger von den Gewerkscha­ften neu in den Rat geschickt wurde, widersprac­h: Er sehe Steuersenk­ungen angesichts der Schuldenbr­emse skeptisch. Truger und riet stattdesse­n, die Abschreibu­ngsbedingu­ngen für Unternehme­n vorübergeh­end zu verbessern.

Einstimmig lehnte der Rat Pläne für eine Fusion von Deutscher Bank und Commerzban­k ab. „Das ist in jeder Hinsicht eine schlechte Idee“, sagte Ratsmitgli­ed Isabel Schnabel von der Universitä­t Bonn. Der Staat, der die Fusion offenkundi­g befürworte, würde eine solche neue Großbank im Krisenfall niemals fallen lassen, sagte Schnabel. Am Ende müsse dann wieder der Steuerzahl­er für eine Bankenplei­te einstehen. Ob die erhofften Synergieef­fekte eintreten würden, sei zudem fraglich.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany