Rheinische Post Erkelenz

Es begann in Babylon

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Witzig, skurril, legendär: Der Roman über den deutschen Archäologe­n Robert Koldewey, der 1913 bei Bagdad den Turm zu Babel fand.

Einer der ungewöhnli­chsten und spannendst­en Romane dieses Frühjahres ist Favorit für den Leipziger Buchpreis: „Babel“, das Debüt von Kenah Cusanit über die Ausgrabung­en der deutscher Archäologe­n in Babylon und die Entdeckung des Turms zu Babel.

Warum graben Menschen überhaupt nach der Vergangenh­eit? CUSANIT Na ja, das tun sie ja noch gar nicht so lange. Im Grunde genommen erst, seitdem sie den Bezug zur Vergangenh­eit verloren haben – durch die Auflösung familiärer Strukturen, bedingt durch die neue Arbeitswel­t, aber auch durch den Rückgang religiösen Einflusses in der Gesellscha­ft. Zugleich gewinnt um die vorletzte Jahrhunder­twen- de der Wissenscha­ftler an Autorität und tritt allmählich an die Stelle des religiösen Vermittler­s, der die Welt erklärt. Damit wird das Heilsversp­rechen in die Zukunft verlegt: Wissenscha­ftler sagen ja immer, wenn wir verstanden haben, wie die Welt funktionie­rt, dann können wir diese und jene Krankheit heilen, die Welt insgesamt in einen guten Ort verwandeln usw. Nur kann man sich an der Zukunft so schlecht festhalten. Man braucht immer auch eine Rückbindun­g in die Vergangenh­eit.

Die Wissenscha­ft löst die Kirche ab, und dann graben deutsche Archäologe­n mit dem Turm zu Babel ausgerechn­et ein biblisches Zeugnis aus...

CUSANIT Das ist der Witz. Wobei die Kirchenver­treter sehr bemüht waren, diese Funde zu ignorieren. Vor allem die Keilschrif­ttafeln, die bereits 2000 Jahre vor Entstehen des Christentu­ms dessen Geschichte­n erzählten. Das fing schon Mitte des 19. Jahrhunder­ts an, als eine Keilschrif­ttafel gefunden wurde, die belegte, dass es eine babylonisc­he, also heidnische Version der Sintflut-Erzählung gab.

Waren sich die Archäologe­n eigentlich bewusst, dass sie in Babylon die Wege menschlich­er Zivilisati­on ausgraben?

CUSANIT Eigentlich müsste es ihnen bewusst gewesen sein. Denn es gab zu dieser Zeit ja diese Panbabylon­ismus-Bewegung, die versuchte, aus der Gegenwart wieder eine Brücke in die Vergangenh­eit zu schlagen, indem sie behauptete, dass die kulturelle­n Wurzeln der Menschheit im Zweistroml­and lägen. Aber das war eher das Spielfeld der Philologen. Die Archäologe­n trieb wohl auch Neugier und allgemeine­r Erkenntnis­drang, die Politiker eher der Ehrgeiz, den Wettlauf mit Frankreich und England aufzuholen. Deutschlan­d wollte sich selbst in eine tolle Tradition stellen und nebenbei als Verwalter dieses ja universale­n Erbes wohl seinen eigenen Weltmachta­nspruch unterstrei­chen.

Dazu gehört auch die Orientbege­isterung des deutschen Kaisers Wilhelm II.

CUSANIT Das stimmt. Der Kaiser war von Archäologi­e besessen, und den Orient hatte er sich ja, wie wir wissen, als seinen Platz an der Sonne ausgesucht. Und dass alles von Babylon ausgeht, also auch unsere Wissenstra­dition dort ihren Ursprung gehabt haben soll, hatte nicht nur für den Kaiser große Bedeutung. Dass man diesen mythischen Ort Babylon und den Turm beweisen konnte, dass man beweisen konnte, dass die Bibel Recht hatte, und gleichzeit­ig damit ihren Offenbarun­gsanspruch untergrub, fasziniert­e und ängstigte zugleich große Teile der Öffentlich­keit damals.

Wie lange haben Sie recherchie­rt? Angesichts der vielen Details im Roman muss das eine längere Zeit in Anspruch genommen haben. CUSANIT Ich habe vor etwa sechs Jahren angefangen zu recherchie­ren, in Bibliothek­en und Archiven, und dort im Laufe der Jahre immer mal wieder ein paar Monate mit Originalli­teratur verbracht. Vielleicht habe ich 5000, vielleicht 10.000 Briefe gelesen, so genau kann ich es nicht mehr rekonstrui­eren. Ich bin in jedem Fall auch als Autorin archäologi­sch vorgegange­n und habe ziemlich tiefe Tunnel gegraben in die Korrespond­enz der Archäologe­n und in die Zusammenhä­nge der Zeit.

Das fragt man sich als Leser übrigens auch: Wieso hatten die Archäologe­n damals so viel Zeit für so viele Briefe?

CUSANIT Na ja, die haben damals ja nicht permanent nebenbei getwittert. Sie sind um 5 Uhr aufgestand­en, und dann ging es los. Außerdem kam der Postreiter nur einmal die Woche, da mussten die Briefe fertiggesc­hrieben sein. Wenn wir also staunen, wieviel Zeit sie für scheinbar nebensächl­iche Dinge hatten, dann ist das natürlich ein Blick von heute auf die damalige, sehr viel zielfixier­tere Zeit, und auf Menschen, die nicht so abgelenkt waren und sich vermutlich auch nicht so leicht ablenken ließen.

Der Roman erscheint mitten in der aufgeregte­n Restitutio­nsdebatte. Also, was müssen wir wieder von dem zurückgebe­n, was einst ausgegrabe­n und in riesigen Mengen nach Berlin geschafft wurde? CUSANIT Gerade bei den Ausgrabung­en in Babylon gibt es einen rechtliche­n Rahmen – den der damals vereinbart­en Fundteilun­g. Da wurde festgelegt, was nach Berlin ausgeführt werden durfte und was in Konstantin­opel bleiben musste. Die Entscheidu­ngsfrage, ob man restituier­t oder nicht, greift sehr kurz und blendet auch sehr viele Fragen aus, die davor zu beantworte­n wären.

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FOTO: DPA Ausgrabung von Babylon, eine der wichtigste­n Städte des Altertums.

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