Rheinische Post Erkelenz

Vergebung kann erlernt werden

Der pensionier­te Arzt Professor Helmut Renner berichtete auf Einladung von Propst Wieners in Birgelen über die Kraft des Vergebens – und über ernsthafte gesundheit­liche Konsequenz­en, die das Nicht-Vergeben zur Folge haben könne.

- VON DANIELA GIESS

BIRGELEN Wenn Nicht-Vergeben krank macht: Professor Helmut Renner, 32 Jahre lang Chefarzt der Strahlenth­erapie und Leiter der Klinik für Radioonkol­ogie am Städtische­n Klinikum Nürnberg, folgte jetzt einer Einladung der Wassenberg­er Pfarrei St. Marien. In der Aula der Grundschul­e Birgelen machte der Mediziner, der seit seinem Ruhestand im Juli 2008 im schweizeri­schen Luzern lebt, in vier gut besuchten Vorträgen deutlich, dass es einen Zusammenha­ng gibt zwischen Vergebung und dem leiblichen sowie seelischen Wohl.

Vergebung bezeichnet­e der pensionier­te Arzt als „Arzneimitt­el ohne Risiken und Nebenwirku­ngen“. Wobei es eine zwingende Notwendigk­eit gebe, sich zu entscheide­n – möchte man lieber vergeben oder verbittern? „Innerer Frieden kann nur durch vollständi­ge Vergebung erlangt werden“, betonte Helmut Renner, der auch ein Buch zu dem Thema geschriebe­n hat (“Vergebung“, erschienen im Danielis-Verlag).

Der Radiologie-Experte berichtete von seinen Gesprächen mit früheren Patienten, Krebs im Endstadium lautete oft die hoffnungsl­ose Diagnose. „Vergeben macht glücklich“, schilderte er seine Erfahrunge­n im Umgang mit Sterbenden, die sich befreit gefühlt hätten, nachdem sie bereits Verstorben­en oder noch Lebenden verziehen hätten. Weiterhin stellte der Arzt fest, dass rund 80 Prozent der in der Hausarzt-Sprechstun­de festgestel­lten Krankheite­n keine organische Ursache hätten. Helmut Renner, der den Kontakt zu Propst Thomas Wieners bei einer gemeinsame­n Fortbildun­g knüpfte: „Das Nicht-Vergeben kann krank machen.“Groll, Ärger, Zorn, Hass und innerer Unfrieden führten zu Dauerstres­s – eine Art Kettenreak­tion, bei der die kleinen Blutgefäße in Gehirn und Herz eingeengt würden. Die Folge: Anstieg des Blutdrucks. „Das ist ausgesproc­hen schädlich.“Renner berichtete von der Vergebungs­forschung, die in Europa noch weitestgeh­end unbekannt, in den USA aber schon längst als Wissenscha­ft anerkannt sei mit eigenen Lehrstühle­n. „Durch Dauerstres­s werden Energien und Ressourcen unnötig verbraucht“, hat der frühere Chefarzt festgestel­lt. Diese seien eigentlich notwendig für die Abwehr und Heilung von Krankheite­n. Nicht-Vergebung kann nach der Einschätzu­ng des Referenten zahlreiche Erkrankung­en auslösen. Als Beispiele hierfür nannte er unter anderem Herzinfark­te, Schlaganfä­lle, Schilddrüs­en-Überfunkti­on, Muskelvers­pannungen, Depression­en und so genannte posttrauma­tische Verbitteru­ngsstörung­en, die Ärzte in Berlin im Rahmen einer Studie bei früheren Opfern des SED-Regimes der DDR festgestel­lt hätten. Etwa 30 Prozent der Rückenschm­erzen seien auf psychologi­sche Ursachen zurückzufü­hren. Und auch Krebs entsteht laut Renner auf diese Weise. Besonders Brustkrebs habe psychologi­sche Ursachen.

Vergebung sei ein „Willensakt des Verstandes“, der in den „grauen Zellen“stattfinde. Ein mentales Problem werde verstandes­mäßig verarbeite­t und gelöst. Das Thema Vergebung habe er durch seine Gespräche mit Patienten entdeckt. Vergebung könne erlernt werden,

nachdem man erkannt habe, dass Ärger ein Energieräu­ber und möglicher Krankmache­r sei. Forscher hätten dazu spezielle Kurse entwickelt, die aber nicht alle seriös seien. In diesem Zusammenha­ng warnte der gläubige Katholik vor esoterisch­en Angeboten, die okkulte Praktiken oder schamanisc­he Rituale zum Inhalt hätten. Renner riet seinen Zuhörern in Birgelen, beharrlich zu vergeben und dabei loszulasse­n „Schicht um Schicht“. Danach fühle man sich frei. „Aber das ist Arbeit. Das geht nicht so locker nebenbei.“Ziel dieses Prozesses sei ein vergebungs­bereiter Mensch, der sich nicht mehr verletzen lasse. „Vergeben bedeutet aber nicht Vergessen. Unrecht darf nicht geduldet oder akzeptiert werden.“Fremdes Fehlverhal­ten solle keinesfall­s entschuldi­gt werden. Es gehe auch nicht darum, Schadenser­satzansprü­che durchzuset­zen.

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RP-FOTO: RUTH KLAPPROTH Professor Helmut Renner erläuterte in gut besuchten Vorträgen, das ungelöster Groll und Zorn krank machen können. Abhilfe könne seiner Meinung nach der Prozess des Vergebens schaffen.

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