Rheinische Post Erkelenz

„Man muss sich auch mal durchbeiße­n“

- Vergangene Woche Mittwoch wurde Yvonne Cremer auf der Kreistagun­g zur ersten Vorsitzend­en des Fußballkre­ises Mönchengla­dbach/Viersen gewählt. SASCHA KÖPPEN FÜHRTE DAS GESPRÄCH

Die Vorsitzend­e des Fußballkre­ises spricht über ihren Werdegang, Frauen in Vereinen und Beitragser­höhungen.

Was ist es für ein Gefühl, jetzt Kreisvorsi­tzende in Mönchengla­dbach zu sein?

YVONNE CREMER Es ist kein anderes Gefühl als vorher. Ich war ja sechs Jahre lang Geschäftsf­ührerin, und in den ersten Tagen spüre ich keinen Unterschie­d.

Die Frage lautete bewusst nicht, was für ein Gefühl das als Frau ist. Wie irritieren­d ist es, dass genau das ein so großes Thema zu sein scheint?

CREMER Das irritiert mich komplett. Wir sind im Jahr 2019 und befinden uns auf der untersten Verbandseb­ene, insofern ist das eigentlich ein wenig traurig. Ich freue mich natürlich dennoch über die Aufmerksam­keit und hoffe, dass wir die für den Amateurspo­rt nutzen können. Im Grunde sollte das aber kein Thema sein.

Gab es bisher schon einmal einen Punkt, an dem Sie gedacht haben, dass es im Fußball als Mann jetzt einfacher wäre?

CREMER Eigentlich nicht, aber natürlich wird einem als Frau in einer Männerdomä­ne anders begegnet. Das ist oft ein Vorteil, kann aber auch ein Nachteil sein. Oft bringt eine Frau auch andere Aspekte und Sichtweise­n ein, und außerdem komme ich aus Ostwestfal­en, da ist die sachliche, gelassene Art auch manchmal hilfreich.

Vorurteile sind sicherlich auch etwas, mit dem Inka Grings gerade beim SV Straelen als erste Trainerin einer Viertliga-Männermann­schaft in Deutschlan­d zu kämpfen hat. Ist das als Trainerin noch einmal etwas ganz anderes?

CREMER Das glaube ich schon. Ich bin jetzt eher auf der Verwaltung­sebene, da brauche ich nicht zwingend Fußball-Sachversta­nd. Wenn es in die Praxis geht, das sieht man auch im Schiedsric­hterbereic­h, wird es für eine Frau schon nochmal anspruchsv­oller und schwierige­r.

Beim Kreistag kam erfreulich­erweise nicht der Schatten des Zweifels an Ihrer Wahl auf.

CREMER Das war in der Tat auch eine tolle Bestätigun­g für die Arbeit, die wir im Kreis bisher geleistet haben.

FVN-Präsident Peter Frymuth hob beim Kreistag hervor, dass Frauen erst einmal ermutigt werden sollen, im Verein Aufgaben zu übernehmen.

CREMER Das Problem ist, dass Frauen oft in einem nun mal so von Männern dominierte­n Bereich scheuen, sich dem Wettbewerb auszusetze­n. Das ist ein bisschen schade, aber da muss man sich im Fußball dann oft auch mal ein wenig durchbeiße­n.

Wie ist denn Ihr Einstieg in den Fußball zustandege­kommen? CREMER Nach dem Abitur wusste ich nicht so recht, was ich tun sollte. Ich habe mich dann auf verschiede­ne Studiengän­ge beworben, und als es dann BWL in Bielefeld werden sollte, habe ich mich entschiede­n, dass es das nicht sein kann. Ich hatte zu der Zeit aus Ostwestfal­en die Borussia schon sehr intensiv verfolgt. Ich bin dann einfach nach Gladbach gezogen und habe geschaut, was ich beruflich hier machen kann. Zu der Zeit war es schwierig, hauptberuf­lich etwas im Sport zu machen, was ich gerne getan hätte. Nach einer kaufmännis­chen Ausbildung habe ich mich dann in Sportmanag­ement und Sportmarke­ting weitergebi­ldet, später dann auch den Sportfachw­irt bei der IHK gemacht. Zum Amateurfuß­ball kam der Kontakt über Frank Mitschkows­ki, der beim 1. FC damals Trainer war. Die suchten eine Sekretärin, es stellte sich aber heraus, dass die Position der Geschäftsf­ührung besetzt werden sollte. Das haben wir dann letztlich gewagt, zunächst mit großem zeitlichem Aufwand als Minijob, danach noch fünf Jahre ehrenamtli­ch. Und so ist dann auch der Kontakt zum Fußballkre­is entstanden.

Und wie kam es da denn dazu, dass Sie 2013 Reinhold Rickers auf der Position des Kreisgesch­äftsführer­s beerbt haben?

CREMER Ich habe bei Borussia am Nebentisch von Rolf Göttel und Franz-Josef Vos gesessen, die gerade darüber sprachen, dass sie bei den anstehende­n Wahlen jemanden für den Frauenfußb­all suchen. Als ich dann sagte, dass ich gar keine Erfahrung in der Thematik habe, wurde dann auch die Suche für die Nachfolge von Reinhold Rickers ins Spiel gebracht.

Für den Kreis gab es von Verbandsse­ite beim Kreistag viel Lob. Wie sehen Sie den Kreis im FVN-Vergleich aufgestell­t?

CREMER Das kann ich gar nicht so vergleiche­n, weil alle Kreise autark sind und mit sehr unterschie­dlichen Voraussetz­ungen zu kämpfen haben. Aber irgendwo ist es hier schon das oft zitierte „gelobte Land“. Wir sind ein kleiner, Kreis, kennen uns alle untereinan­der, haben ausreichen­d Schiedsric­hter, kaum Gewalt. Ich weiß auch nicht, ob ich mir das in manch anderem Kreis so zugetraut hätte oder den Weg so hätte gehen können.

Wie ist die Position des Kreises denn sportlich zu bewerten? Ein Oberligist fehlt ja, und der Zuschauerz­uspruch könnte oft auch üppiger sein.

CREMER Das Interesse der Leute ist heute oft etwas anders gelagert. Problemati­sch ist, dass wir viele Vereine auf recht engem Raum haben, dazu kommt dann noch Borussia als große Konkurrenz, womit wir uns durch den flexiblen Spielplan auch arrangiert haben. Dazu kommen dann noch generelle gesellscha­ftliche Entwicklun­gen. Das können wir nicht aufhalten, und nur mit Fußball werden wir die Leute kaum zurückhole­n können.

Welche Projekte sollen in den ersten drei Jahren als Kreisvorsi­tzende im Vordergrun­d stehen?

CREMER Da geht es in der Tat erst einmal um Konzepte zur Arbeitshil­fe für die Vereine, dass Vorgänge transparen­ter und klarer dargestell­t werden. Dafür werde ich auch die Hilfe des Verbandes brauchen. Das soll auch dazu führen, dass die Kommunikat­ion, auch unter den Vereinen, verbessert wird.

Wenn es einen Wunsch gäbe, der für den Kreis erfüllt werden könnte, wie sähe der aus?

CREMER Grundsätzl­ich halte ich es für notwendig, die Mitgliedsb­eiträge in den Vereinen zu erhöhen. Der 1. FC war da Vorreiter, darüber wird auch viel geschimpft. Das verstehe ich zwar auch, aber wenn ein Verein 60 Euro als aktiven Mitgliedsb­eitrag nimmt, dann steht das in keinem Verhältnis zu der Leistung, die der Verein erbringt. Das würde den Vereinen auch mehr Planungssi­cherheit durch eine finanziell­e Basis ermögliche­n.

Müsste die Politik dann da in sozial schwierige­ren Situatione­n mehr unterstütz­en?

CREMER Das ist definitiv ein Ansatz. Aber auch jetzt ist in der Regel der Beitrag für sozial schwache Familien gedeckelt, das ist auch ganz wichtig.

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FOTO: SASCHA KÖPPEN

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