Viel mehr als Sonntagsgottesdienste
Die Aufgaben der Gemeindepfarrer reichen von Taufen, Konfirmationen und Beerdigungen über Seelsorge bis hin zum interreligiösen Dialog.
WICKRATHBERG/RHEYDT Gemeindepfarrer haben einen vollen, man kann auch sagen, übervollen Terminkalender. Nein, es ist nicht so, dass sie in erster Linie an Sonn- und Feiertagen arbeiten, weil sie dann Gottesdienste halten. Das tun sie natürlich auch, aber die Aufgaben einen Gemeindepfarrers sind vielfältig – wie das Leben der Menschen, die begleitet, angesprochen oder unterstützt werden, denen zugehört oder im Dialog begegnet wird. Mit denen gefeiert, getrauert und nachgedacht wird. Doch so ähnlich sich die Aufgaben von Pfarrern auch sind, sie unterscheiden sich deutlich, je nachdem, ob eine Gemeinde in der Innenstadt oder auf dem Land liegt.
Esther Gommel-Packbier ist Pfarrerin in Wickrathberg. Zu ihrer Gemeinde gehören zehn Dörfer wie Beckrath oder Herrath. Die evangelische Pfarrerin stammt selbst vom Bauernhof und liebt die ländliche Umgebung. Falls nötig, könnte sie auch mal einen Traktor fahren. Tut sie aber nicht, doch sie ist viel mit dem Auto oder dem Rad unterwegs. Die Wege sind weit auf dem Land. Dafür ist die Verbundenheit der Menschen mit Traditionen und mit der Kirche stärker. „Ich habe einen viel innigeren Kontakt zu den Menschen in der Gemeinde als in der Stadt“, sagt Esther Gommel-Packbier. Zum Beispiel wird sie noch zu Aussegnungen gerufen. Dann kommt sie nach einem Sterbefall ins Haus. Gemeinsam mit der Pfarrerin nehmen Familie und Nachbarn Abschied vom Verstorbenen. Oder Menschen wenden sich an die Seelsorgerin, die sie kennen und die ihnen bei Gemeinde- und Heimatfesten, Vereinsveranstaltungen und Gottesdiensten oft begegnet, um über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen. „Hier ist Zuhören das A und O“, sagt Gommel-Packbier.
Weil man sich gut kennt, sind helfende Hände auf dem Land noch kein Problem. „Die Vereine treffen sich im Gemeindehaus und es ist für sie konfessionsübergreifend Ehrensache, beim Gemeindefest zu helfen“, erklärt die Pfarrerin. Wickrathberg hat ein großes Pfund, mit dem die Gemeinde wuchern kann - die wunderschöne und einzigartige Kirche. „Die Menschen fühlen sich der Kirche verbunden.“Und so ist das 400 Plätze fassende Gotteshaus selbst an fünf Gottesdiensten zu Heiligabend voll besetzt. Oder: Zur vor der Konfirmation stattfindenden Prüfung der Konfirmanden sind die Eltern, Paten und Großeltern eingeladen. Alle haben etwas mitgebracht, und auf die Prüfung folgt ein gemütliches Beisammensein mit Buffet. „Es ist nicht das Paradies bei uns, aber es nah dran“, sagt Esther Gommel-Packbier und lächelt. Natürlich gehört auch die Arbeit in Ausschüssen und Gremien, im Presbyterium und in Arbeitskreisen zu ihren Aufgaben. Der Arbeitstag kann schon bis 23 Uhr gehen. Aber: „Ich würde mich immer wieder für die Arbeit auf dem Land entscheiden.“
Stephan Dedring ist Pfarrer in Rheydt. Neben den klassischen Aufgaben wie Beerdigungen und Taufen, Gottesdiensten und Traugesprächen ist Citykirchenarbeit Teil seiner Tätigkeit. Das bedeutet, mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die sonntagmorgens nicht in die Kirche kommen. Die sich nicht seit Generationen verbunden fühlen, sondern nur kurze Zeit in der Rheydter Innenstadt leben. Die einen anderen Zugang zu Kirche, Gemeinde und Religion brauchen. Dedring erprobt in Rheydt verschiedene Formate. Als Gottesdienstformen werden Friedensgebete, Jugendgottesdienste, Evensong (abendliche Stundengebete) und Taizé-Andachten angeboten. Und zwar nicht am Sonntag, sondern am Samstag oder am Mittwoch. „Wir erreichen damit sehr unterschiedliche Zielgruppen“, sagt der Pfarrer. Ein weiterer Zugang ist die Kirchenpädagogik. So nennt Dedring sehr spezielle Führungen durch die Rheydter Hauptkirche, in denen er einen spirituellen Zugang zum Gebäude öffnen will. Kunstausstellungen, Vorträge und Musik bieten wieder andere Annäherungsmöglichkeiten. Besonders leicht anzunehmen ist das Angebot des Kirchencafés, das deshalb auch niedrigschwellig heißt. Hier kann man sich treffen, austauschen, Hilfe suchen. Der Pfarrer leitet das ehrenamtliche Team, das das Café betreibt.
Pfarrer können nicht alles selber machen. Vor allem nicht in Zeiten, in denen immer mehr Pfarrstellen abgebaut werden. „Aber es ist meine Aufgabe, Ehrenamtler zu suchen, zu begleiten und Wertschätzung zu vermitteln.“Zu all dem kommt im Innenstadtbereich noch der interreligiöse Dialog. „Wir suchen immer das Gespräch“, sagt Dedring. „Zu den anderen Religionen und zu den Menschen, die nicht zum klassischen religiösen Milieu gehören.“