Rheinische Post Erkelenz

448 Seiten, die Bände sprechen

Robert Mueller hat seinen Bericht zur Russlandaf­färe veröffentl­icht. Die Erkenntnis­se des Sonderermi­ttlers haben es in sich. Für ein klares Urteil reichen sie aber nicht aus.

- VON FRANK HERRMANN

WASHINGTON Als Robert Mueller zum Sonderermi­ttler berufen wurde, um die Russlandak­te unter die Lupe zu nehmen, bekam Donald Trump einen Wutanfall. „Oh mein Gott, das ist furchtbar. Das ist das Ende meiner Präsidents­chaft“, soll er getobt haben. Es gipfelte in Worten, die man besser in der Originalsp­rache wiedergibt: „I‘m fucked.“

Jeder sage ihm, seine Präsidents­chaft sei ruiniert, wenn er es erst mit einem dieser Sonderermi­ttler zu tun habe, wetterte Trump. So etwas ziehe sich über Jahre hin, währenddes­sen werde er zu nichts anderem kommen. Das sei das Schlimmste, was ihm passieren konnte, beschwerte er sich bei Jeff Sessions, dem Chef seines Justizress­orts. Statt ihn zu schützen, lasse ihn der Minister schnöde im Stich. „Wie konntest du das geschehen lassen, Jeff?“

Offensicht­lich war es Sessions, einst der erste Republikan­er von Rang, der sich hinter den Immobilien­mogul aus New York stellte, der Mueller erzählte, was sich im Mai vor zwei Jahren hinter den Kulissen der Macht abspielte. Detailgena­u schildert es der ehemalige FBI-Chef in dem Bericht, den er nach 22 Monaten Recherche über das schrieb, was Kritiker Trumps die Russlandaf­färe nennen. Seit Donnerstag ist der Report publik, Sessions‘ Nachfolger William Barr, ein Justizmini­ster, auf den Trump große Stücke hält, hat ihn freigegebe­n, allerdings mit geschwärzt­en Passagen. Seit Donnerstag lässt sich auf 448 Seiten nachlesen, was Mueller zu Papier brachte – sehr viel differenzi­erter, als es Barr im März gekürzt dargelegt hatte.

Die Regierung Russlands, schreibt Mueller, sei 2016 davon ausgegange­n, dass es in ihrem Sinne wäre, wenn demnächst Donald Trump und nicht Hillary Clinton im Oval Office regiere. Daher habe sie den Republikan­er unterstütz­t, daher hätten Hacker im Auftrag des russischen Militärgeh­eimdiensts die Computer der Parteizent­rale der Demokraten attackiert und E-Mails gestohlen, die dann bei Wikileaks veröffentl­icht wurden. Trumps Team habe sich Vorteile davon versproche­n, resümiert Mueller. Allerdings lasse dies nicht den Schluss zu, dass es sich mit dem Kreml abgesproch­en habe, um die Wahl zu beeinfluss­en.

Brisanter liest sich, was Mueller zum zweiten zentralen Verdachtsm­oment zusammenge­tragen hat: zur Frage, ob Trump die Justiz behinderte, als diese der vermeintli­chen „Russia Connection“auf den Grund ging. In vielen Einzelheit­en, auch in bislang unbekannte­n, skizziert er, wie sich der Präsident gegen die Nachforsch­ungen stemmte, ohne Skrupel bereit, seine Mitarbeite­r zum Gesetzesbr­uch anzustifte­n.

Den obersten Rechtsbera­ter der Regierungs­zentrale, Donald McGahn, rief er an einem Wochenende im Juni 2017 zu Hause an, auf dass er Muellers Entlassung organisier­e. McGahn sollte mit Rod Rosenstein telefonier­en, dem für die Ermittlung­en zuständige­n Vize-Justizmini­ster. Er sollte deutlich machen, dass Mueller wegen bedenklich­er Interessen­konflikte – in Wahrheit ging es um die Zahlung von Gebühren für einen Trump-Golfclub in Virginia – seinen Hut nehmen müsse. „Mueller muss gehen. Melden Sie sich, wenn es erledigt ist“, wird Trump von McGahn zitiert. Der Jurist weigerte sich, der Anweisung zu folgen. Statt bei Rosenstein zu intervenie­ren, fuhr er in sein Büro, um ein Rücktritts­schreiben vorzuberei­ten. Zudem sprach er mit Reince Priebus und Steve Bannon, der eine damals Stabschef, der andere Chefstrate­ge des Weißen Hauses. Beide baten ihn, im Amt zu bleiben. Später, als die „New York Times“über die Episode berichtete, forderte Trump seinen Rechtsbera­ter zu einem Dementi auf. McGahn widersetzt­e sich, weil der Artikel der Wahrheit entsprach.

Kurz darauf sollte Corey Lewandowsk­i, einst Trumps treu ergebener Kampagnenm­anager, Sessions beibringen, dass Muellers Untersuchu­ngen auf potenziell­e Einmischun­gsversuche Russlands in der Zukunft zu beschränke­n seien. Was 2016 geschah, sollte nicht noch einmal aufgerollt werden. Auch Lewandowsk­i ignorierte die Order, er beließ es dabei, einen Vertrauten zu unterricht­en. Der Versuch des Präsidente­n, Einfluss auf die Untersuchu­ngen zu nehmen, sei daran gescheiter­t, dass sich Personen in seinem Umfeld weigerten, seine Befehle auszuführe­n, fasst Mueller zusammen. Dies gelte auch für James Comey, den damaligen FBI-Direktor, dem Trump nahelegte, Michael Flynn, seinen geschasste­n Sicherheit­sberater, in Ruhe zu lassen.

Allein mit Comeys Rauswurf im Mai 2017 sehen Kritiker Trumps den Tatbestand der Justizbehi­nderung erfüllt. Mueller hingegen überließ es Barr, juristisch zu bewerten, was er an Fakten gesammelt hatte. „Während dieser Bericht nicht feststellt, dass der Präsident eine Straftat begangen hat, entlastet er ihn auch nicht“, schreibt er. Hätte man die Gewissheit gehabt, „dass der Präsident die Justiz eindeutig nicht behinderte, hätten wir es auch so formuliert“. Auf Grundlage von Fakten und Rechtsnorm­en sei er jedoch nicht in der Lage, ein klares Urteil zu fällen.

Die Reaktionen auf Muellers Report sind denkbar unterschie­dlich: Während Trump das Match mit den Worten „Game over!“für beendet erklärte, will Jerold Nadler, der demokratis­che Vorsitzend­e des Justizauss­chusses im Repräsenta­ntenhaus, Barr zwingen, seinem Komitee eine unredigier­te Fassung des Berichts zukommen zu lassen – mit dem vollständi­gen Beweismate­rial, das ihm zugrunde liegt. Der linke Flügel der Demokraten verlangt erneut, ein Amtsentheb­ungsverfah­ren in Angriff zu nehmen.

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FOTO: AP Der Bericht von Sonderermi­ttler Robert Mueller ist teilweise geschwärzt veröffentl­icht worden.

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