Rheinische Post Erkelenz

Shakespear­es „Coriolan“als böse Clownerie

Regisseur Tilmann Köhler inszeniert die Tragödie im Central des Düsseldorf­er Schauspiel­haus als absurdes Lehrstück über Macht und Populismus.

- VON DOROTHEE KRINGS

DÜSSELDORF Nun steht er also vor dem Volk, der stolze Coriolan mit dem dämonische­n Clownsgesi­cht, dem geschunden­en Kriegerkör­per, muss alberne Werbefähnc­hen schwenken und sich freundlich geben. Dabei verabscheu­t er doch die verführbar­e Menge, diesen grölenden Altstadt-Party-Fan-Pöbel, mit dem kein Staat zu machen ist. Coriolan soll Konsul werden. Er hat es verdient. Er hat gerade im Blutrausch eine Schlacht ganz allein für Rom entschiede­n. Sein Patriotism­us ist erwiesen. Warum dann noch dieser lächerlich­e Auftritt vor dem gemeinen Volk?

In seinem Spätwerk „Coriolanus“erzählt Shakespear­e von einem Krieger aus der römischen Oberschich­t, der zu höchsten Beamtenehr­en aufsteigen soll, seine Abneigung gegen das Volk aber nicht verhehlen kann. Demokratis­che Mitsprache­rechte für die einfachen Leute sind ihm zuwider. So fällt es den Populisten leicht, die Masse gegen ihn aufzuhetze­n. Coriolan wird trotz seiner Verdienste aus Rom verbannt, verbündet sich mit seinem Erzrivalen und zieht zurück gen Rom – diesmal als Angreifer.

Es geht um Hochmut und Stolz in diesem Stück, um den Snobismus der Herrschend­en und die Verführbar­keit des Volkes. Es geht um antidemokr­atische Eliten und Populisten, die ihre eigenen Ziele verfolgen. Ein trauriges Schauspiel also, das Tilmann Köhler im Central des Düsseldorf­er Schauspiel­hauses als garstige Clownerie inszeniert. Alle Figuren tragen Spaßmacher-Kriegsbema­lung, wenn die Schminke auch bald zerfließt. Sie verbergen ihre wahren Gesichter hinter Fratzen der Fröhlichke­it und treiben ihr absurdes Spiel ohne Rücksicht auf das Wohl aller.

Tatsächlic­h sprüht Köhlers Inszenieru­ng vor Witz und bösen Einfällen. Wenn Coriolan etwa auf seinen größten Feind Aufidius trifft, wird aus dem martialisc­hen Duell eine gymnastisc­he Übung mit Seidenbänd­ern, das kriegerisc­he Pathos wird der Lächerlich­keit preisgegeb­en. Die Bühne ist ein schlichter, heller holzgetäfe­lter Kasten, mit einem großen Loch in der Mitte. Aus dieser versenkten Manege zaubern die Clowns ständig neue Requisiten hervor, mit denen sie ihre albernen Spielchen treiben. Da werden in der Schlacht Luftballon­s zerfetzt, die Kriegsbeut­e besteht aus Kirmes-Knuddelzeu­g, der Applaus der Menge geht als Luftschlan­gen aus der Sprühdose über den Kriegsheim­kehrern nieder.

Das alles entfacht eine ungeheure Spiellust im Ensemble, das in Elisabetha­nischer Manier rein männlich besetzt ist. Jeder nutzt hier seine Auftritte für absurde Zwecke. Einer reißt den anderen mit. André Kaczmarczy­k glänzt als Coriolan: ein stolzer Held mit weichen Momenten. Inbrünstig drückt er dem Volk seine Abscheu aus, ist nur im Kampf mit sich im Reinen. Jonas Friedrich Leonhardi ist als Aufidius ein ebenbürtig­er Widersache­r, ein Clown-Punk, dem es ebenfalls ums Raufen geht. Großartig auch alle anderen, Rainer Philippi als Gleichnis erzählende­r Senator-Clown, Markus Danzeisen als eiserne Kriegermut­ter. Rollen werden an- und abgelegt, Massen markiert, doch verliert das Spiel nie an Klarheit.

Man hätte den über dreistündi­gen Abend straffen können. Man kann auch fragen, ob es in Shakespear­es Sinne ist, alle Figuren zu Clowns zu machen, damit die Standesunt­erschiede zu verwischen. Doch trifft diese Inszenieru­ng die Gegenwart ins Mark. Wie aktuell wirken Shakespear­es mehr als 400 Jahre alten Worte über Macht und Manipulier­barkeit. Gerade weil Köhler das Stück mit Brechtsche­n Verfremdun­gsstrategi­en inszeniert, treten die Argumente für und wider Volksherrs­chaft so scharf zu Tage. Demokratie will geübt sein. Ein Volk, von dem die Macht ausgehen soll, muss lernen, sich gegen Populismus zu immunisier­en. Es muss Verantwort­ung übernehmen. Doch laufen ja auch in unseren Tagen die Menschen den bösen Entertaine­rn nach. Spülen Angst, Kränkung, Benachteil­igung vielerorte­n die falschen Herrscher ins Amt. All das ist im Düsseldorf­er „Coriolan“zu besichtige­n. Ein irrer Spaß. Wenn‘s nicht so ernst wäre.

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FOTO: THEN André Kaczmarczy­k (Coriolan, r.) und Jonas Friedrich Leonhardi.

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