„Altmaier muss mal emotional werden“
Der Arbeitgeberpräsident wünscht sich einen engagierteren Wirtschaftsminister. Die Grundrente lehnt er ab.
BERLIN Kurz vor Ostern ist Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unterwegs auf hoher See: Der 66-Jährige engagiert sich privat als Seenotretter in der Nordsee. Das Interview haben wir vorher geführt.
Sie engagieren sich stark für den Zusammenhalt Europas. Wird die Bundesregierung dem Gewicht Deutschlands in der EU gerecht? KRAMER Von der Bundesregierung wünsche ich mir mehr Engagement für das Zusammenwachsen Europas und dass sie nicht vorwiegend erklärt, welche Vorschläge aus anderen Ländern sie nicht mitmachen könne. Ich wünsche mir eine emotionale offensive Europapolitik, die nicht immer nur die Bedenken in den Vordergrund stellt, sondern vor allem die Chancen benennt.
Sie wünschen sich also einen deutschen Emmanuel Macron?
KRAMER Seine beeindruckende Reaktion auf die zerstörerische Kraft, die das Feuer am heiligsten Kulturerbe Frankreichs angerichtet hat, macht seine Fähigkeit deutlich, in Ausnahmesituationen sogleich weit in die Zukunft schauen zu können. Mich hat dieses verheerende Unglück so berührt, als ob es in meiner eigenen Stadt passiert wäre. Emanuel Macron hat es auch geschafft, emotional und verbal für Europa zu begeistern. Wir konzentrieren uns in unseren Debatten leider zu sehr darauf, was alles nicht mit Macron geht.
Wirtschaftsminister Altmaier muss viel Kritik einstecken. Zu Recht? KRAMER Ich sage zuerst, welche Kritik ich nicht angemessen finde: Es wird ihm zu Unrecht vorgeworfen, dass er sich zu viel um Industriepolitik kümmert. Aber Industriepolitik zu machen, ist nicht falsch. Jede Kommune, jeder Landkreis, jedes Dorf, das ein Gewerbegebiet ausweist, macht Industriepolitik. Herr Altmaier wird aber leider öffentlich so wahrgenommen, als ob er sich ausschließlich um Industriepolitik kümmert und andere Felder, die ein Wirtschaftsminister besetzen sollte, nicht besetzen würde.
Was fehlt bei Altmaiers Politik? KRAMER Er ist die Stimme der Wirtschaft am Kabinettstisch, auch wenn es darum geht, neue bürokratische Regelungen für Unternehmen abzuwehren. Das muss auch öffentlich wahrnehmbar sein. Das heißt, er muss die Gesamtperspektive der Wirtschaft mit Macht vertreten – und zwar öffentlich. Er muss laut und deutlich über die Nöte, Sorgen und Erfordernisse der Wirtschaft sprechen. Bei all den Regulierungen, die aus dem Arbeitsministerium, aus dem Umweltministerium und aus dem Entwicklungsministerium auf uns einströmen, braucht die Wirtschaft einen Vertreter im Bundeskabinett, der auch mal laut sagt: Leute, ihr überzieht gerade. Das kann nur der Wirtschaftsminister sein. Er muss sich auch mal emotional für die Wirtschaft und ihren Mittelstand einsetzen. Das muss spürbar sein.
Altmaier musste gerade seine Wachstumsprognose drastisch senken. Welche konkreten Schritte erwarten Sie jetzt von der Regierung? KRAMER Ich erwarte, dass diese Bundesregierung für die notwendigen Impulse sorgt, um die anstehenden Herausforderungen auch meistern zu können. Dazu gehört ein Investitionsbeschleunigungsgesetz zur Verkürzung jeglicher Planungsphasen und die Vermeidung weiterer Belastungen für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen. Wir erwarten, das entsprechende Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag auf Eis gelegt werden. Kurzum: Die Kostenbelastung muss runtergefahren werden und die einschränkenden Maßnahmen, die den Unternehmen den notwendigen flexiblen Handlungsspielraum nehmen, müssen eingestellt werden.
Wie soll so ein Investitionsbeschleunigungsgesetz aussehen? KRAMER Wir müssen uns ein Beispiel am Investitionsbeschleunigungsgesetz nach der Wende für die neuen Bundesländer nehmen. Wir müssen wie damals deutlich weniger Stufen mit Einspruchsmöglichkeiten gegen große Investitionsprojekte haben. Außerdem darf nicht jeder vermeintlich gemeinnützige Verein, wie beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe, die sich dazu von konkurrierenden Autokonzernen anderer Länder und vom Staat finanzieren lässt, in den Städten klagen und das Leben und Arbeiten der Menschen erschweren. Hier brauchen wir einen Wirtschaftsminister, der klar macht: Das geht so nicht!
Was würde sich mit der neuen CDU-Vorsitzenden Kramp-Karrenbauer als Bundeskanzlerin ändern? KRAMER Frau Kramp-Karrenbauer ist eine Politikerin, die Fragen stellt und zuhört. Sie macht sich schlau, hakt nach und reagiert. Das ist ein guter Anfang für eine verlässliche Zusammenarbeit. Ich nehme Frau Kramp-Karrenbauer wahr als jemanden, der die Wirtschaft in ihren Grundzügen versteht, mit wirtschaftlicher Erfahrung aus ihrer Verantwortung als Ministerpräsidentin. Ich halte eine ganze Menge von ihr und wünsche mir, dass sie sich durchsetzen kann und in Zukunft genügend Unterstützung bekommt – als CDU-Vorsitzende und mögliche nächste Bundeskanzlerin.
Wie finden Sie die Grundrente? KRAMER Die Grundrente ist nicht nur über diese Legislaturperiode hinaus nicht finanziell abgedeckt, sondern auch grundfalsch und ungerecht. Meine Generation der 50bis 70-Jährigen bringt gerade ihre Schäfchen ins Trockene auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder. Das finde ich nicht in Ordnung. Wir werden demografiebedingt bis 2040 sechs Millionen weniger Erwerbstätige haben. Die geplante Grundrente ist einfach als Konzept falsch und wäre noch schlimmer ohne Bedürftigkeitsprüfung. Um Altersarmut zu verhindern, haben wir schon die Grundsicherung im Alter, die eine zu geringe Rente aufstockt. Sie neu zu justieren ist sinnvoll, nicht aber das Füllhorn für jeden auszuschütten.