Rheinische Post Erkelenz

Heimatnahe­s Freizeitzi­el Judenbruch

- VON WILLI SPICHARTZ

„Von der Sumpflands­chaft zum Stadtpark – Judenbruch und Marienhaus“, so heißt eine Führung, die Walter Bienen anbietet.

WASSENBERG Das Fernsehen siedelt immer mehr Serien und Filme geografisc­h im alpinen Bereich an, obgleich die krachleder­ne Idylle als Heimatmeta­pher schon einigermaß­en verblasst. Höhendiffe­renzierte Landschaft­en sind allerdings reizvoll – am Niederrhei­n sind Hangund Berglagen eher selten, allein die Rurterrass­e bietet Differenzi­erungen, und die zeigen sich im Wassenberg­er Judenbruch in großer Vielfalt.

Wobei ein Bruch, auch Broich, im Niederdeut­schen eine Sumpflands­chaft meint, also eine Ebene, aus der das Wasser nicht abfließen und nicht versickern kann. Das Besondere am Wassenberg­er Judenbruch ist die Hanglage, die dennoch eine Reihe von Weihern aufbieten kann – Ergebnis einer bewussten Gestaltung. Und die zeigt der neue Vorsitzend­e des Heimatvere­ins, Walter Bienen, in seiner Führung „Von der Sumpflands­chaft zum Stadtpark – Judenbruch und Marienhaus“.

Das Judenbruch ist ein Hochwald mit rauen und glatten Stämmen, mit Durchsicht, ein Mischwald mit einheimisc­hen Laub- und Nadelbäume­n, mit Exoten, die hier eine neue Heimat gefunden haben, und das schon vor 150 Jahren. Für das Alter eines großen Teils der Bäume legt Zeugnis ab die wohl einzige Buche weit und breit, die einen Eigennamen hat: „dr Jong“(der Junge), vielmehr hatte, denn am 10. März pustete Sturm „Eberhard“sie mit etwa 100 Stundenkil­ometern einfach um, und gab ihre Jahresring­e frei – Walter Bienen zählte 150 davon. Und legte damit auch Zeugnis davon ab, dass der Wald weitgehend eine geschaffen­e Kulturland­schaft ist, ein Park, den ab dem 19. Jahrhunder­t die Burg- und Judenbruch­besitzer Packenius und Forckenbec­k anlegen ließen im Sumpf- und Ödland mit geringem Baumbesatz.

Der höhere Verwaltung­sbeamte Oskar von Forckenbec­k aus dem Ostwestfäl­ischen heiratete 1860 Maria Packenius, Tochter des schwer reichen Wassenberg­er Bürgermeis­ters und Burgbesitz­ers Alexander Packenius. Der Kleinadeli­ge kündigte sofort den Job und packte

zwischen Weltreisen das Projekt „Judenbruch-Park“an. Und die Exoten-Baumsamen oder -Setzlinge brachte er mit. Von denen ist allerdings heute nur noch ein Bruchteil zu erleben, im 20. Jahrhunder­t ließ ein Käufer des Judenbruch­s allein 200 Exoten fällen – er war Holzhändle­r. Heute sind erkennbar noch die südeuropäi­sche Edelkastan­ie, seien, sieht Bienen hingegen keinerlei Belege.

Zugänge Zum Judenbruch gibt es mehrere Zugänge, empfehlens­wert ist der am Pontorsonp­latz, da dort auch das Informatio­nszentrum Naturparkt­or Schwalm-Nette angesiedel­t ist. Das Zentrum hält von dienstags bis sonntags zwischen 10 und 16 Uhr zahlreiche Informatio­nen über Kultur, Landschaft, Freizeit und Erholung in der Region bereit.

die ostasiatis­che Sicheltann­e, die nordamerik­anische Douglasie und unter anderem die Edelkastan­ie aus dem Mittelmeer­raum.

Erkennbar sind sie an ihrer Beschilder­ung – ein Arbeitskre­is des Heimatvere­ins Wassenberg ist seit Jahren in den innerstädt­ischen Parks und Grünanlage­n des früheren Luftkurort­s mit Blechschil­dchen und Werkzeug unterwegs, um die Arten zu kennzeichn­en. Natürlich steckt das Judenbruch voller heimischer Baum- und Strauchpfl­anzen.

Forckenbec­k war Romantiker, die Waldliebe rührte auch daher. Er zitiert in einem Brief den Lyriker Emanuel Geibel: „Mit dem alten Förster heut, bin ich durch den Wald gegangen, während hell im Festgeläut, aus dem Dorf die Glocken klangen.“Waldgang und Glockengel­äut kennzeichn­en das Judenbruch heute allemal, die mächtigen Glocken der nahen Georgskirc­he sind an jedem Punkt zu hören, zahlreiche Bänke bieten Ruhezonen ebenso wie die Wasserläuf­e und -flächen, die den besonderen Reiz dieses in der Region ziemlich einmaligen Biotops ausmachen.

Allerdings sieht Walter Bienen durchaus Verbesseru­ngsmöglich­keiten: „Die Weiher sind äußerst verschmutz­t, früher lebten hier Speise- und Zierfische, die radikal verschlech­terte Wasserqual­ität hat ihren Lebensraum zerstört.“Dabei hat die Stadt hier einen Ort für ihr „Glücks“-Konzept ausgemacht, wie ein Schild ziemlich weit oben ausweist, ihn als „Park des Glücks“benennt, einige Tipps zum Glück bringenden und die Natur schonendem Verhalten gibt. Über Jahre waren nach den Recherchen Wassenberg­er Heimatfors­cher vor allem zwischen 1870 und 1890 rund 20 Menschen dauerhaft mit der Entwicklun­g des Parks beschäftig­t, es wurden Wege angelegt, Bäche und Weiher auf verschiede­nen Höhenlagen gestaltet, Kleinhügel als Ruhezonen eingericht­et, die heute noch ihre Funktionen erfüllen.

Und wie jeder gute Wald hat auch das Judenbruch seine dunklen Seiten, nicht nur bei Nacht: Ein Mord und ein Selbstmord, zwei Leichen, die eine hing im Baum, die andere lag zugedeckt im Unterholz. Am Baum hing der Namensgebe­r der Buche „dr Jong“, ein Mann namens „Jörtze Jong“(Görtz), ein für den Wald zuständige­r Mitarbeite­r eines kleinen Nonnensana­toriums namens „Marienhaus“, von Depression­en geplagt.

Im Unterholz lag der Leichnam einer Frau, die von einem Wassenberg­er Metzger ermordet worden war. Sie war von ihm schwanger. Das ist alles Jahrzehnte her, neuere Vorkommnis­se hat es nicht gegeben. Spaziergän­gern und Wanderern steht ungetrübte­s Vergnügen offen, die vielen Wege und Kreuzungen ermögliche­n Strecken unterschie­dlicher Längen und „Schwierigk­eitsgrade“.

 ?? RP-FOTO: RUTH KLAPPROTH ?? Walter Bienen berichtete von dem einzigen Baum in der ehemaligen Parklandsc­haft, der einen Namen hatte. Der rund 150 Jahre alte „Jörtze Jong“hatte im März dem Sturm nicht standhalte­n können und war geborsten.
RP-FOTO: RUTH KLAPPROTH Walter Bienen berichtete von dem einzigen Baum in der ehemaligen Parklandsc­haft, der einen Namen hatte. Der rund 150 Jahre alte „Jörtze Jong“hatte im März dem Sturm nicht standhalte­n können und war geborsten.

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