Rheinische Post Erkelenz

„Ich bin ein Fischkopp aus Alanya“

- VON REGINA GOLDLÜCKE

In der Türkei geboren, in Bremen aufgewachs­en: Die Schauspiel­erin Cennet Rüya Voß ist in Hebbels „Maria Magdalena“zu erleben.

Wenige Tage vor der Premiere von „Maria Magdalena“hat die Anspannung unter den Schauspiel­ern zugenommen. „Der Druck erhöht sich, aber nicht im negativen Sinn“, sagt Cennet Rüya Voß. „Ich habe jetzt einen guten Überblick, was alles auf die Klara zurollt. Nun ist es wichtig, eine Ökonomie zu finden, um den Abend zu überstehen.“

Auf das Mädchen in Hebbels Trauerspie­l stürme vieles ein: „Sie wird ungewollt schwanger, die gesellscha­ftliche Situation ist belastend, ebenso die familiäre. Als Frau hat sie keinen Handlungss­pielraum. Es geschieht ein Unglück nach dem nächsten, von der ersten Sekunde an geht es für sie bergab. Klara wird förmlich in den Boden gedrückt.“Manchmal müsse sie sich beim Spielen bezähmen, räumt Cennet Rüya Voß ein. „Wenn man den Deckel des Druckkesse­ls zu früh öffnet und der Wut schon anfangs zu viel Raum lässt, ist zum Ende des Stücks kaum noch eine Steigerung möglich.“

Doch ist es gerade diese Kraft, die ihr in allen Rollen zu eigen ist. Es sind ungewöhnli­ch viele. Und in jeder fällt sie auf, ob „Ellbogen“, „Hexenjagd“, „Der zerbrochne Krug“, „Die Dreigrosch­enoper“, „Tartuffe“oder „Das Schloss“, was sie sehr liebt: „Es macht so viel Spaß, in den Kafka-Kosmos einzutauch­en.“Oft ist sie auch vor Schulklass­en als Gretchen in „Faust (to go)“und Recha in „Nathan (to go)“im Einsatz, beide Stoffe sind Abi-Themen.

Nach der Schauspiel­schule in Frankfurt, wo sie Stipendiat­in der Studiensti­ftung des deutschen Volkes war, kam Cennet Rüya Voß 2016 mit Wilfried Schulz nach Düsseldorf. Sie ist eine der meistbesch­äftigten Schauspiel­erinnen des Ensembles. Ihr Repertoire häuft sich stetig, ihre Stücke laufen lange. Sie erzählt von ihrer großen Spiellust: „Ich war immer schon ein Energiebün­del“, sagt sie. „Das mag am Leistungss­port liegen, den ich früher mit Schwimmen und Rudern betrieben habe. Dabei trainiert man Ausdauer und Kraft.“Gerade deshalb müsse sie darauf achten, dass es nicht in jeder Szene aus ihr herausspru­delt, und sich auf ihre Bodenhaftu­ng konzentrie­ren.

Sie brauchte einige Umwege, bis sie endgültig auf der Bühne ankam. Trotz ihres poetischen türkischen Namens: Cennet bedeutet Paradies, Rüya Traum. Kann man als Schauspiel­erin Verheißung­svolleres erwarten? „Ja, meine Mutter hat sich etwas Gutes dabei gedacht“, sagt die 26-Jährige, die in Alanya geboren wurde und in Bremen aufwuchs. Ihre Mutter ist Norddeutsc­he („wir sind alle richtige Fischköppe“), ihr leiblicher Vater Türke, dessen Sprache sie nie lernte, „stattdesse­n aber Französisc­h und Chinesisch im Gymnasium“. Eine Patchwork-Familie mit drei älteren Stiefgesch­wistern und einer jüngeren Schwester. Ihr Ziehvater, ein Nautiker, der zur See fuhr, ermunterte das phantasieb­egabte Kind, sich auf der Bühne auszuprobi­eren.

Cennet Rüya Voß spielte im Jugendclub des Bremer Schnürschu­h-Theaters: „Kein richtiges Licht, kein Ton, dafür ein enger Kontakt mit dem Publikum“, erinnert sie sich, „ich habe dabei viel gelernt, weil man sich stark behaupten musste.“Der formelle Zugang zum ersehnten Beruf blieb ihr zunächst durch gescheiter­te Aufnahmepr­üfungen an Schauspiel­schulen versperrt. „Dann studiere ich eben“, nahm sie sich trotzig vor – und landete bei „Biological Sciences“in Konstanz. Wohl aber liebäugelt­e sie durch Jobs in der Statisteri­e des dortigen Stadttheat­ers weiterhin mit dem Spielen. Und im nächsten Anlauf klappte es dann endlich mit dem Studium.

In Düsseldorf teilt sich Cennet Rüya Voß eine Wohnung mit einigen befreundet­en Schauspiel­haus-Kollegen. Die Stadt müsse sie erst noch besser kennenlern­en, sagt sie. Zu sehr war sie bisher vom Theater absorbiert. Durch die „To go“-Formate habe sie allerdings viele spannende Orte und Menschen kennengele­rnt. „Angesichts des Arbeitspen­sums fällt es mir schwer, einem Hobby nachzugehe­n“, fügt sie hinzu. „Eines pflege ich dennoch – das nächtliche Musizieren mit meinem Freund.“

Sie mag das Central und den direkten

Draht zum Publikum. Beim „Zerbrochne­n Krug“sei er besonders intensiv. „Ich spiele die Eve, und es gibt viele Lacher, bei denen ich tanken kann. Bis die Leute merken, welchen Ursprung die Witze haben. Dann kippt es. Mich füttern solche Reaktionen.“

Wie alle anderen freut sich Cennet Rüya Voß sehr darauf, irgendwann ganz im Schauspiel­haus am Gustaf-Gründgens-Platz anzukommen, das sie bisher nur von „Hamlet“und der „Dreigrosch­enoper“kennt. Ihr Wunsch: „Unser Ensemble braucht bald eine richtige Heimat.“

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FOTO: THOMAS RABSCH Cennet Rüya Voß in Hebbels „Maria Magdalena“.

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