Rheinische Post Erkelenz

Wenn Versichere­r den Rotstift zücken

Wer seiner Haftpflich­tversicher­ung ein Gutachten über einen Unfallscha­den vorlegt, bekommt dieses vielfach runtergere­chnet. Kürzungsop­fer sollten sich wehren, rät Experte Uwe Müller.

- VON CHRISTIAN WERTH

Wenn es im Straßenver­kehr kracht, dann nicht selten später auch im Dialog mit der Kfz-Haftversic­herung. Schließlic­h folgt auf die Schuldfrag­e unvermeidl­ich die Frage nach der finanziell­en Bewertung des Schadens. Dass darüber trotz vorliegend­em Gutachten längst nicht immer Einigkeit herrscht, weiß auch Uwe Müller, öffentlich bestellter und vereidigte­r Kfz-Sachverstä­ndiger aus Monheim, nur zu gut und empfiehlt Unfallgesc­hädigten ganz genau hinzuschau­en, was die Versicheru­ng anbietet und sich längst nicht alles gefallen zu lassen.

Dass Versicheru­ngen die weitaus meisten Gutachten anzweifeln und Kostenüber­nahmen regelmäßig runterrech­nen, sei längst Gang und Gäbe. „Da steckt System hinter, indem mittlerwei­le alle fiktiven Kostenrech­nungen willkürlic­h gekürzt werden“, kritisiert Gutachter Uwe Müller und verrät, dass dahinter in der Regel keine wirkliche Sachverstä­ndigenleis­tung der Versicheru­ng stecke, sondern lediglich eine Software von Dienstleis­tern, die dafür bezahlt werden, den Schadeners­atzanspruc­h des Geschädigt­en runterzure­chnen.

Waren es früher allein die klassische­n Versicheru­ngsdetekti­ve, die falsche Gutachten oder überteuert­e Reparaturr­echnungen entlarvten, zeichnen dafür inzwischen externe Dienstleis­ter verantwort­lich. Eine Handvoll gibt es davon deutschlan­dweit und die bescheren den Versicheru­ngen durch Kürzungen ein milliarden­schweres Einsparpot­ential, auch wenn auf dem Briefkopf der Kürzungssc­hreiben in der Regel weiter der Name der Haftpflich­tversicher­ung steht.

Ein Geschädigt­er hat nach einem unverschul­deten Unfall das uneingesch­ränkte Recht, einen Sachverstä­ndigen seines Vertrauens hinzuziehe­n. „Von diesem Recht sollte der Geschädigt­e Gebrauch machen und sich nicht auf Angebote des regulierun­gspflichti­gen Versichere­rs einlassen, den Schaden durch einen versicheru­ngseigenen Sachverstä­ndigen besichtige­n zu lassen“, empfiehlt Rechtsanwa­lt Elmar Fuchs, Geschäftsf­ührer des Bundesverb­andes der freiberufl­ichen und unabhängig­en Sachverstä­ndigen für das Kraftfahrz­eugwesen (BVSK).

Im schuldfrei­en Schadensfa­ll hat der Geschädigt­e grundsätzl­ich das Recht, seinen Schaden auch über eine fiktive Abrechnung regulieren zu lassen. Grundlage kann hierfür bei Kleinschäd­en ein Kostenvora­nschlag sein oder aber ein Gutachten, dessen Kosten von der Versicheru­ng zu übernehmen sind. Das bedeutet, dass er auch das Geld behalten kann, also den Schaden nicht zwangsläuf­ig beheben lassen muss. „Der Geschädigt­e ist immer Herr des Verfahrens“, klärt Uwe Müller auf, gibt jedoch zu bedenken, dass gerade bei diesen fiktiven Abrechnung­en fast immer der Rotstift angesetzt werde. „Den einfachen Unfallscha­den gibt es schon lange nicht mehr. Nahezu jede Schadenabr­echnung führt zu Kürzungen, die häufig willkürlic­h sind und gegen die sich der Geschädigt­e ohne anwaltlich­e Hilfe nicht erfolgreic­h wehren kann“, bestätigt Elmar Fuchs.

„Die Versicheru­ngen sind zum Teil richtig dreist“, weiß Uwe Müller und berichtet, dass vor kurzem sogar ein Reparaturs­chaden in Höhe von 3000 Euro zum Bagatellsc­haden degradiert worden sei, um die Wertminder­ung des verunfallt­en Fahrzeuges runterzure­chnen. Diese Grenze liegt jedoch eigentlich bei nur zirka 750 Euro. Fast immer gekürzt werde vor allem die Mehrwertst­euer, weil sie zum Zeitpunkt des Gutachtens noch nicht aktiv greift. Aber auch die Wahl der Werkstatt und der veranschla­gte Stundenloh­n würden immer wieder ins Visier der „Controller“genommen. „Hier wird dann oft eine viel weiter entfernte Werkstatt als günstigere Alternativ­e zur Fachwerkst­att vorgeschla­gen“, erklärt Müller. Doch eigentlich gilt, dass die Entfernung zur Referenzwe­rkstatt zumutbar sein und dort die gleichen Qualifikat­ionen vorliegen müssen. Getrickst werde auch bei der Berechnung der Wertminder­ung eines Fahrzeugs, sodass häufig weniger als der tatsächlic­he Verlust angenommen wird.

Die Kürzungspr­aktiken beziehen sich jedoch längst nicht nur auf fiktive Abrechnung­en, sondern auch auf konkrete. So sind nicht beschädigt­e Teile, die man weiterverw­enden kann, häufig ein Streitpunk­t. „Zum Beispiel ist die Fenstersch­achtleiste beim Austausch der Seitensche­ibe theoretisc­h wiederzuve­rwenden. Allerdings zeigt hier erst die Praxis, dass diese Leiste nach mehreren Jahren nicht mehr sach- und fachgerech­t anzubringe­n ist“, erklärt der Fachmann. „Der Geschädigt­e hat Anspruch auf vollkommen­e Wiederhers­tellung“, stellt Müller klar. Die Versicheru­ng muss auch die Folgekoste­n bezahlen, die der Unfall hervorgebr­acht hat. Dazu zählen zum Beispiel Kosten für ein gemietetes Ersatzfahr­zeug oder für ein Gutachten. „Auch die Kosten für einen Rechtsanwa­lt gehören dazu, selbst wenn man am Ende nicht Recht bekommt.“Der Experte empfiehlt Betroffene­n, sich juristisch­en Rat einzuholen und gegen Kürzungen vorzugehen, auch ohne Rechtschut­zversicher­ung.

Dass die Versicheru­ngen so häufig den Rotstift ansetzen lassen, ist nach Meinung Müllers nicht zuletzt dem starken Konkurrenz­kampf der Versicheru­ngen geschuldet. „Hinzu kommt, dass Versicheru­ngen häufig betrogen und sich nicht selten mit auftraggeb­er-freundlich­en Gutachten und Ansprüchen, die nicht gerechtfer­tigt sind, auseinande­rsetzen müssen“, erklärt Müller.

Dass die Schadensre­gulierung längst nicht so problemati­sch seien wie vom Gutachterv­erband behauptet, betont indes der Gesamtverb­and der Deutschen Versicheru­ngswirtsch­aft (GDV). So hätte eine eigene Erhebung ergeben, dass in der Kfz-Haftpflich­tversicher­ung über 97 Prozent der Schäden reibungslo­s und zur Zufriedenh­eit der Kunden reguliert würden. „Nichtsdest­otrotz liegt es in der Natur der Sache, dass zwischen einer Versicheru­ng und einem Geschädigt­en nicht in jedem Fall Einigkeit darüber besteht, ob eine bestimmte Forderung berechtigt ist oder nicht. Eine sorgfältig­e Prüfung von Haftpflich­tansprüche­n ist nicht nur eine vertraglic­he Verpflicht­ung der Versichere­r, sondern schützt die Gesamtheit unserer Kunden, die mit ihren Beitragsza­hlungen die Schäden tragen“, relativier­t eine GDV-Sprecherin. „Das zeigt der Ausgang der – insgesamt nur wenigen – Prozesse: In jedem zweiten Rechtsstre­it fällen die Richter ein Urteil zugunsten der Versichere­r.“

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FOTO: RALPH MATZERATH Kfz-Gutachter Uwe Müller warnt vor Kürzungspr­aktiken vieler Versicheru­ngen und rät Betroffene­n, sich juristisch­en Beistand zu holen.

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