Demokratisch oder bequem?
Von der Wissensgesellschaft zu einer digitalen Mitmach-Demokratie.
Früher glaubte ich, dass unsere Gesellschaft vom Internet profitieren würde. Erwachsene besorgen sich Informationen und diskutieren gesittet bei Facebook. „Wissensgesellschaft“– ein schöner Ansatz, aber leider Quatsch.
Digitale Kommunikation scheint Gräben eher zu vertiefen, Emotionen siegen über Fakten. Hat der digitale Fortschritt gar die Kraft, unser demokratisches System auszuhebeln? Der Bildungsforscher, Regierungsberater und Professor Gerd Gigerenzer erzählt gelassen vom möglichen Ende der Demokratie. Derzeit blickt er nach China, wo ein digitales Belohnungssystem getestet wird. Bürger bekommen
Punkte für anständiges Verhalten, das Bremsen am Zebrastreifen, artig posten statt böse pesten, ein nettes Wort für die Regierenden. Ein sattes Punktekonto erleichtert das Leben, beim Ausbildungsplatz für die Kinder, bei der Wohnungssuche oder den Zinsen. Angeblich seien chinesische Autofahrer bereits rücksichtsvoller. Gigerenzer wagt ein Gedankenspiel: Führt das Punktesystem dazu, dass sich Chinesen tatsächlich vorbildlicher verhalten, dann werden andere Länder mit autokratischen Tendenzen das Programm auch einführen. Und eines Tages stelle sich die Frage, ob unsere langsame Demokratie und das relativ geringe politische Interesse an persönlicher Freiheit da noch mithält. Gigerenzer zitiert chinesische Freunde, die angesichts von Trump und Brexit Zweifel an der Demokratie haben. Am Ende gehe es um die Kernfrage: Was ist bequem, was funktioniert? Ob Wisch-Handy oder One-Click-Shopping – das Einfache gewinnt. Demokratie aber ist kompliziert, der Kompromiss meist unbequem. Gigerenzer fragt: Wie würde ein Volksentscheid zur Einführung von Punktekonten in Deutschland wohl ausgehen?
Der Journalist Hajo Schumacher schreibt hier über seine Entdeckungsreise in der digitalen Welt. Ihre Meinung? Schreiben Sie unserem Autor: kolumne@rheinische-post.de