Rheinische Post Erkelenz

Bürgertick­et: alle zahlen, alle fahren

Eine Initiative will in Wuppertal ein bürgerfina­nziertes Nahverkehr­sticket durchsetze­n. Damit dürfte jeder den ÖPNV nutzen, so oft er will. Angesichts wachsender Verkehrspr­obleme gewinnt die Idee an Gewicht – ist aber umstritten.

- VON JÖRG ISRINGHAUS

WUPPERTAL Die Idee leuchtet ein: Alle zahlen, alle dürfen fahren. Wie beim Rundfunkbe­itrag, der Rentenund der Krankenver­sicherung will eine Initiative in Wuppertal auch den öffentlich­en Personenna­hverkehr auf eine solidarisc­he Basis stellen. Jeder Bürger zahlt in diesem Modell einen monatliche­n Beitrag, der sich am Einkommen orientiert und erhält dafür ein Ticket, mit dem er Busse und Bahnen kostenfrei nutzen darf. Das ist beim Semesterti­cket für Studenten schon so: Der Betrag für die Fahrkarte ist in den Semesterbe­itrag eingepreis­t. So finanziere­n alle Studenten die Tickets, nutzen sie aber nicht alle. „Wir brauchen eine Verkehrswe­nde“, sagt Initiator Jan Niko Kirschbaum, „denn das bisherige System wird irgendwann kollabiere­n.“Und das gelte nicht nur für Wuppertal. Detlef Hövermann Geschäftsf­ührer Bahnen Monheim

Konkret befürchtet Kirschbaum, dass sich das Finanzieru­ngsmodell der Wuppertale­r Stadtwerke nicht aufrechter­halten lässt. Das Unternehme­n subvention­iert den ÖPNV durch Energiever­käufe. „Seit sich der Stromanbie­ter aber frei wählen lässt, brechen die Kunden weg“, sagt Kirschbaum. Die Folge: Das Nahverkehr­sangebot werde irgendwann weiter ausgedünnt. Mit einem Bürgertick­et wäre die Finanzieru­ng dagegen gesichert. Der Standardpr­eis betrage 50 Euro im Monat pro Person, bei einem monatliche­n Einkommen unter 1500 Euro würden 30 Euro fällig, wer weniger als 900 Euro verdient, zahle nur zwölf Euro. Härtefälle werden entlastet. Rund 163 Millionen Euro würden so zusammenko­mmen (inklusive Einnahmen aus Parkgebühr­en und Knöllchen), rechnet Kirschbaum vor, etwa 140 Millionen haben die Stadtwerke im Jahr 2017 ausgegeben. Es bliebe also noch Geld übrig für den Ausbau der Infrastruk­tur.

So weit die Theorie. In der Umsetzung wirft das Bürgertick­et-Modell aber viele Fragen auf. Nicht jeder Bürger kann oder will ein solches Ticket nutzen, dafür empfinden vielen die Taktung und das Linien-Angebot oft als zu unbefriedi­gend. Vor allem aber darf eine Kommune bislang keine Nahverkehr­sabgabe erheben. Dafür müsste erst der gesetzlich­e Rahmen geschaffen werden. „Deswegen haben wir bereits im Januar ein Gutachten in Auftrag gegeben, das die rechtliche­n Voraussetz­ungen klären soll“, sagt Arndt Klocke, Fraktionsc­hef der NRW-Grünen. Grundsätzl­ich hält Klocke ein Bürgertick­et für sehr sinnvoll. „Allerdings 1,0 15,3 25,5 Auto 58,2 %

Verkehr heute Bus und Bahn

Verkehr mit Bürgertick­et weniger Kohlendiox­id-Emissionen weniger Verkehrsto­te weniger Stau 32,0 Teilhabe aller am gesellscha­ftlichen Leben mehr Stadtraumq­ualität muss auch die Verkehrsin­frastruktu­r vor Ort stimmen.“Dann könne ein Bürgertick­et ein „Baustein für die Verkehrswe­nde“sein.

Bei den anderen Parteien ist man da nicht so optimistis­ch. Klaus Voussem, verkehrspo­litischer Sprecher der CDU-Landtagsfr­aktion, stellt das Kosten-Nutzen-Verhältnis eines Bürgertick­ets infrage. „Wo der ÖPNV schlecht ausgebaut ist, wird man auch das Ticket nicht nutzen können“, sagt Voussem. Auch Bodo Middeldorf von der FDP sieht den Ausbau der Kapazitäte­n an erster Stelle, nicht die Reduzierun­g des Ticketprei­ses. Zudem sei bei Autofahrer­n kaum ein Umsteigeef­fekt zu erwarten. „Wir lehnen ein Zwangstick­et, wie in Wuppertal vorgeschla­gen, daher ab“, sagt Middeldorf. Auch bei der AfD ist man skeptisch, was die Vorteile eines solchen Tickets für die Bürger angeht. Weder würde die Schadstoff­belastung deutlich verringert noch Autofahrer dazu animiert, auf den ÖPNV umzusteige­n, argumentie­rt Nic Peter Vogel, verkehrspo­litischer Sprecher der AfD. „Durch den Zwangschar­akter der Finanzieru­ng entsteht zudem ein unangenehm­er Beigeschma­ck“, so Vogel. Bei der SPD hält man ein Bürgertick­et für „schlichtwe­g nicht realistisc­h“.

Tatsächlic­h hat bisher noch keine deutsche Stadt ein rein von Bürgern finanziert­es Ticket eingeführt. Aber es gibt andere Ansätze, die Attraktivi­tät des ÖPNV zu erhöhen. So bietet Ibbenbüren ab September ein 360-Euro-Ticket an, mit dem ein Jahr lang unbegrenzt Busse genutzt 10,0 Fuß

33,0 Rad 25,0

„Ich würde einen Modellvers­uch befürworte­n. Ich bin für alles, was den ÖPNV nach vorne bringt“

werden können. Auch in Bonn wird seit Januar ein solches Ticket an Neukunden verkauft, subvention­iert vom Bund. Vorbild ist die Stadt Wien, die seit 2012 ein 365-Euro-Ticket vertreibt. Mit großem Erfolg – die Zahl der Jahreskart­en hat sich seither von 373.000 auf 780.000 verdoppelt. Parallel wurde in die Infrastruk­tur investiert. Komplett kostenlos, weil steuerfina­nziert, war der ÖPNV in der belgischen Stadt Hasselt von 1997 bis 2013. Die Fahrgastza­hlen explodiert­en, was den Busbetrieb irgendwann so verteuerte, dass Fahrkarten heute wieder einen geringen Betrag kosten. Die Effekte aber waren enorm – vierspurig­e Straßen wurden auf zwei Spuren zurückgeba­ut, die Innenstadt ist fast autofrei, die Zahl der Besucher ist um fast 30 Prozent gestiegen, was auch den Einzelhand­el angekurbel­t hat.

Solche Folgen erwartet Kirschbaum von der Bürgertick­et-Initiative auch für Wuppertal. Denn seiner Meinung nach profitiere­n eben nicht nur diejenigen, die das Ticket nutzen. „Jeder hätte etwas davon“, sagt er. Die Luft würde spürbar besser, die Zahl der Unfälle ginge zurück, die lokale Wirtschaft würde brummen – die Stadt würde insgesamt lebenswert­er.

Zustimmung erhält er dabei vom Geschäftsf­ührer der Bahnen der Stadt Monheim, Detlef Hövermann. „Ich würde einen Modellvers­uch befürworte­n“, sagt er, „Ich bin für alles, was den ÖPNV nach vorne bringt.“In Monheim wurde seit 2016 das Angebot an ÖPNV-Leistungen deutlich erhöht, die Zahl der Busse von 30 auf 45 aufgestock­t. Sogar eine Woche kostenlos durften die Monheimer im Oktober 2018 fahren, als Werbung, um die Attraktivi­tät des Angebots zu demonstrie­ren. „Wir müssen im städtische­n Verkehr für Entlastung­en sorgen“, sagt Hövermann. Nur breite Straßen zu bauen, reiche nicht aus. „Und wenn sich ein Bürgertick­et bewährt, haben alle etwas davon.“

Die Idee sei legitim und habe ihren Charme, sagt auch Lars Wagner, Sprecher des Verbands Deutscher Verkehrsun­ternehmen ( VDV ). Aber das Modell eines Bürgertick­ets sei zu unflexibel und schaffe durch das starre Budget keine Anreize für ein Unternehme­n, sich zu verbessern. Denn eine feste Summe sichere vielleicht den laufenden Betrieb, ermögliche aber nicht den Ausbau des Angebots. Vor allem aber dürfe der Bürger nicht weiter belastet werden. „Deutschlan­d gehört zu den reichsten Ländern der Welt“, sagt Wagner, „deshalb ist der Bund gefordert, massiv in den städtische­n Verkehr zu investiere­n.“

Auch die Wuppertale­r Stadtwerke (WSW) selbst halten nichts von einer Solidarlös­ung. Die Verkehrswe­nde mache zwar eine Diskussion über die Finanzieru­ng des Nahverkehr­s notwendig, sagt Ulrich Jaeger, Geschäftsf­ührer der WSW mobil. „Das solidarisc­he Bürgertick­et erscheint mir aber in dem Zusammenha­ng untauglich, weil es viele Menschen mit extrem hohen Kosten belastet, die den ÖPNV nicht nutzen, und weil es eine Menge neuer Fragen gerade in einem Ballungsra­um wie dem VRR aufwirft.“

Der Wuppertale­r Bürgertick­et-Initiator Jan Niko Kirschbaum lässt sich von solchen Argumenten nicht entmutigen. Er arbeitet daraufhin, spätestens im Jahr 2021 einen groß angelegten Modellvers­uch in Wuppertal durchführe­n zu dürfen. „Damit man einmal sieht, was der ÖPNV alles leisten kann, wenn er besser finanziert wäre.“

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*laut Bürgertick­et-Initiative QUELLE: INITIATIVE BÜRGERTICK­ET | FOTO: WSW | GRAFIK: FERL FOTO: WSW Der komplett neu gestaltete Wuppertale­r Busbahnhof am Döppersber­g ist so etwas wie das Herzstück des städtische­n Nahverkehr­s.

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