„In herzlicher Abneigung zugetan“
Die beiden Klever Barbara Hendricks (SPD) und Ronald Pofalla (CDU) kämpften jahrelang gegeneinander. Heute duzen sie sich – und kämpfen gemeinsam für den Klimaschutz.
„insgesamt für ambitioniert genug“. Die Schüler und ihre Mitstreiter in der Wissenschaft wollen den Kohleausstieg bis 2030, die Kommission gibt bis spätestens 2038 Zeit. 2035 soll Deutschland aus Sicht der Aktivisten klimaneutral sein und die Energieversorgung komplett aus erneuerbaren Quellen stammen. Doch den internationalen Klimazielen zufolge, die auch Hendricks mitverhandelte, muss es nicht ganz so schnell gehen.
Trotz der Differenzen zu den engagierten Schülern sieht Pofalla die Ergebnisse der Kohlekommission in einer Linie mit früheren historischen Entscheidungen der Bundesregierung. „Bisher haben alle großen Koalitionen der jüngsten Vergangenheit historische Entscheidungen herbeigeführt“, sagt er. „Die gute Bewältigung der Finanzkrise nach 2008 gehört dazu, die richtige Flüchtlingspolitik in den Jahren 2015 bis 2017 und jetzt die Beschlüsse zum Kohleausstieg als Paradigmenwechsel in der Energieversorgung.“
Das jedoch war nicht einfach, weiß der als Taktiker bekannte CDU-Politiker. „Die Einigung in der Kohlekommission hätte ich nicht hinbekommen, wenn ich mich in den nächtlichen Schlussverhandlungen nicht über die angedachten Rahmen verschiedener Regierungsmitglieder auf Bundesebene und verschiedener Landesregierungen hinweggesetzt hätte“, sagt Pofalla heute. Er blickt nach vorn: „Dass sich danach alle hinter dem Ergebnis versammelt haben, lässt auf eine rasche Umsetzung hoffen.“Die müsse jetzt kommen. Keiner könne mehr sagen, das gehe nicht.
„Wir haben Konsens, die roten Linien sind gezogen. Die ersten Gesetze zur Umsetzung der Kohlebeschlüsse kommen vor der Sommerpause auf den Tisch“, ist Pofalla überzeugt. Er sieht vor allem die Energieversorger in der Pflicht: „Kaum ein anderer Sektor bietet an so wenigen Schalthebeln so viel CO2-Einsparpotenzial wie der Energiebereich.“Einige wenige Kohlekraftwerke machten schon einen großen Unterschied. „Ein solches Volumen im Verkehrssektor einzusparen, ist ungleich schwieriger.“
Ob für eine rasche Umsetzung das neue Klimakabinett hilfreich sein kann? Hendricks, zu deren Amtszeit es das Gremium noch nicht gab, ist unsicher. „Eigentlich bieten die üblichen Verfahren der Gesetzgebung genug Möglichkeiten, um die Klimagesetze auf den Weg zu bringen“, findet sie. Trotzdem halte sie den Start des Klimakabinetts für vernünftig, damit man bis kurz nach der Sommerpause endlich geeinte Beschlüsse zu den Sektorenzielen für den längst verabschiedeten Klimaschutzplan bekomme. „Angela Merkel hat ein erkennbares Interesse daran, ihre Bezeichnung als Klimakanzlerin nicht zu gefährden. Sie wird am Ende den Knoten durchschlagen“, glaubt Hendricks.
Auch Pofalla setzt auf Merkel. „Die Bundeskanzlerin ist ungewöhnlich kenntnisreich beim Sachthema Klimaschutz“, sagt er. „Vielleicht auch, weil sie Physikerin ist.“Sie kenne alle Debatten, auch in den Nichtregierungsorganisationen. „Und Angela Merkel hat trotz aller Veränderungen in der CDU noch immer die alte Durchschlagskraft als Kanzlerin“, sagt ihr früherer Kanzleramtsminister. Er selbst sieht sein Werk jedoch als vollbracht an. „Die intellektuelle und mentale Belastung der Kommission war gewaltig“, sagt er. Die habe er unterschätzt, als er zusagte.
Ob er nochmal bereitstünde? „Die Kohlekommission ist sehr gut gewesen, und man sollte sein Glück kein zweites Mal herausfordern“, sagt Pofalla. „Ronald Pofalla war genau der richtige Vorsitzende für die Kommission“, platzt es aus Barbara Hendricks heraus. Wer hätte das gedacht?
Es sind diese Töne, die man einst in Kleve nicht kannte zwischen den beiden Bundespolitikern. „Politik ist Wettbewerb, der war bei uns sehr ausgeprägt. Gerade in den Anfangsjahren haben wir mit harten Bandagen gekämpft“, sagt Pofalla. Wenn es aber um Projekte im Wahlkreis ging, habe man zusammengehalten, gemeinsame Sache gemacht. „Wir hätten viele Dinge im Kreis Kleve nicht hinbekommen, wenn Barbara, der verstorbene Paul Friedhoff von der FDP und ich nicht in der Sache einig gewesen wären“, meint Pofalla. Hendricks konnte im Finanzministerium gute Konditionen für den Erwerb der britischen Kasernengelände und den Flughafen Laarbruch bekommen, die es sonst gar nicht gab. Und Pofalla ließ später seine Kontakte spielen, als er aufstieg. Zusammen mit Friedhoff sorgten Hendricks und Pofalla dafür, dass in Kleve die Hochschule RheinWaal gebaut wurde, für 200 Millionen Euro.
Jetzt hat Pofalla als Bahn-Vorstand neue Mammutprojekte auf dem Schreibtisch. „Alle Regierungen der vergangenen Jahrzehnte haben die nötigen Investitionen in die Schienen-Infrastruktur unterschätzt“, sagt Pofalla. Jetzt sei die Chance da, das zu ändern. „Die Verhandlungen mit dem Bund sind auf einem guten Weg. Ich bin guten Mutes, dass wir vor der Sommerpause eine Einigung haben werden“, meint er.
Für Hendricks geht es jetzt eher darum, ihr politisches Erbe in Kleve zu regeln. Bei der nächsten Bundestagswahl will sie nicht noch einmal antreten. 2017 hatte sie auch gegen Pofallas Nachfolger Stefan Rouenhoff verloren. Mit Pofalla trifft sie sich jetzt immer mal wieder, es ist entspannter. Und dennoch hat auch das neue Verhältnis zwischen ihnen Grenzen: „Von einer Freundschaft würde ich auch heute nicht sprechen“, sagt die SPD-Politikerin, auch wenn sie „zur Hochzeit von Ronald“eingeladen war. Auch das ging wohl erst nach jenem Gespräch unter vier Augen an einem Tag Ende 2013.